3 Jahre Angst, Teil 1: Gestern

Donnerstag, 29.3.2012, 12:02 > daMax

Ziemlich genau vor 3 Jahren schrieb ich einen Text, der dieses Blog für mich zu dem machte, was es heute ist. Wie es der so Zufall will, war ich ziemlich genau vor einer Woche mal wieder soweit, völlig entnervt alles hinzuschmeißen. Diese beiden Meilensteine sind mir Anlass genug, mal rechts ran zu fahren, den Gang raus zu nehmen und zu überdenken, was ich hier eigentlich treibe. Mit selbstreferentiell habe ich es bekanntlich eher nicht so, aber ich muss mir mal darüber klar werden, was dieser ganze Scheiß überhaupt soll. Manchmal soll es ja helfen "darüber zu reden".

Der Artikel ist in 2 Teile gegliedert. In Teil 1 werde ich die Geschichte meines Blogs Revue passieren lassen und in Teil 2 möchte ich mich an einer Positionsbestimmung versuchen um zu sehen, ob ich meine selbst gesteckten Ziele erreicht habe oder ihnen wenigstens näher gekommen bin. Vor allem bei Teil 2 hoffe ich auf eine Diskussion mit euch da draußen.

Eins vorweg: ich danke euch von ganzem Herzen für all die großen und kleinen Aufmunterungen, die ihr mir in der letzten Woche habt zukommen lassen. Manches davon hinterlässt mich ziemlich überwältigt und ist zu einem Gutteil dafür verantwortlich, dass ich euch jetzt mit diesem Riesenartikel bombardiere.

Am Anfang war der Link

Eines Abends im Jahr 2004 saß ich nachts bei einem Freund und surfte planlos durch die Gegend. Dabei stolperte ich über einen Link, von dem ich wusste, dass ich und viele andere ihn eines Tages noch brauchen könnte(n). Normalerweise hätte ich mir nun eine EMail mit diesem Link geschickt. An jenem Abend dachte ich mir stattdessen: "Wäre es nicht toll, jetzt eine Website zu haben, in die ich den Link rein hauen könnte, so dass nicht nur ich ihn später wieder fände, sondern auch alle meine Freunde?". Zwar hatte ich damals durchaus ein paar Websites, mir schwebte aber etwas mit passender Datenbankanbindung vor zwecks späterem Wiederauffinden der Links. Außerdem wollte ich keine Zeile PHP dafür schreiben müssen :twisted:

Von Services wie Delicious oder ähnlichem hatte ich bis dahin noch nichts gehört, wohl aber von dem Phänomen "Blogs". Um den Aufwand so gering wie möglich zu halten, erstellte ich mir kurzerhand einen Account bei blogger.com unter dem Titel "Treibgut" und klopfte meinen ersten Link dort hinein. Zu meinem großen Entzücken durfte ich gerade feststellen, dass das Ding tatsächlich heute noch existiert :-D Es war mir zwar nicht möglich, das Treibgut dem damaligen Aussehen meiner Homepage anzupassen, über solche Kleinigkeiten hinwegzusehen fiel mir jedoch noch nie schwer. Wurli ließ sich leider auch nicht integrieren, was schon eher bedauerlich war (wer schon immer mal Wurlis erste Schritte sehen wollte, hat dort die Gelegenheit dazu).

Ein eigenes Blog muss her

Mit dem "Treibgut" ging es knapp 2 Jahre lang so weiter. Sporadisch kam mal ein Link dazu, mehr war nicht drin. Allerdings fing Google (die blogger.com bereits gekauft hatten) irgendwann mit der tollen "Ohne Google-Konto geht nix mehr"-Policy an, und da hatte ich keinen Bock drauf, also konnte mich Google zum ersten Mal von hinten sehen (was später noch sehr oft passieren sollte). Nun stand ich allerdings vor dem Problem, dass ich an mein eigenes Blog nicht mehr herankam. Doof, das. Also habe ich mich notgedrungen daran gemacht, WordPress auf meinem Server zu installieren, denn davon hatte ich schon Gutes gehört.

Könnt ihr euch meine Verzückung vorstellen, als es mir nach 10 Minuten gelungen war, ein echtes eigenes Blog zum Laufen zu kriegen? So much win. Nun musste ich natürlich noch die bisherigen Einträge aus dem "Treibgut" zu todamax kriegen. Mangels einer besseren Idee habe ich das dann manuell gemacht, schließlich bestand "Treibgut" bis dato gerade mal aus 13 Einträgen. Wegen dieser Kopieraktion stimmen übrigens die Zeitstempel der Artikel erst ab etwa Oktober 2007. Was in der Lücke zwischen 2006 und 2007 passiert ist, entzieht sich meiner Kenntnis...

Der Text als Gesprächspartner

So langsam fand ich Gefallen an der Sache. Aus der reinen Linkliste wurde allmählich so etwas ähnliches wie ein Blog mit kleinen Texten, Videoeinbindungen, Bildchen und so weiter. Inhaltlich kreiste alles mehr oder weniger um Geekcontent, Technikkrams, Spiele und Spaß ausm Netz. Anfang 2009 machte sich bei mir eine zunehmende Unzufriedenheit und Gereiztheit breit, weil mich die politischen Verhältnisse sowohl in Deutschland als auch europa- und sogar weltweit immer stärker beunruhigten, ich jedoch mit fast niemand darüber reden konnte. Von meinen Freunden erntete ich immer öfter Reaktionen, die meinen Frust nur noch verstärkten: "Ach komm, is' doch gar nich' so schlimm", "Jetzt sieh's doch mal nicht alles so düster", hin und wieder auch: "Wo haste das denn jetzt schon wieder her?". Letzteres blieb hängen.

Im März 2009 war es dann soweit. Zum ersten Mal in meinem Leben setzte ich mich hin und erzählte meinem Blog von meinen Ängsten, weil ich das Gefühl hatte, mit niemandem sonst darüber reden zu können. Ich wollte aber auch alle meine Freunde und Bekannten ANSCHREIEN und ihnen zeigen, dass ich nicht nur paranoid bin, sondern gute Gründe für diese Ängste habe. Dazu wollte ich meine unsortierten Gedanken mit so vielen Links wie nur möglich zu hinterfüttern um aufzuzeigen, dass unsere Demokratie Stück für Stück ausgehöhlt wird und wir nach und nach unserer Bürgerrechte verlustig gehen.

Als ich diesen Text fertig hatte, bemerkte ich an mir selbst etwas völlig Unerwartetes: einerseits konnte ich schon während des Schreibens feststellen, dass ich manche Zusammenhänge erst erkannte, als ich nach Formulierungen für meine diffusen Ängste suchte. Andererseits war ich in der Woche nach diesem Text plötzlich viel entspannter! Ich hatte mir tatsächlich "den Frust von der Seele geschrieben". Das war neu und beflügelte meinen Spaß am Schreiben (später kam noch überraschend positives Feedback auf den Text, nachdem ich ihn einer Zensursulademo vorgelesen hatte, aber ich greife vor). Je mehr ich schrieb, desto eher bekam ich von meinen Freunden zu hören: "Hm... ja... I see your point. So langsam verstehen wir, was du meinst. Danke auch für die interessanten Links! Wenn du mehr in der Richtung hast, schreib da ruhig mal wieder was drüber!".

Die Zeitung für meine Freunde und ein Abstecher zum AK Zensur

Diese beiden Dinge trafen mich wie ein Schlag. Zum einen die Entdeckung, dass Schreiben die Seele beruhigen kann, zum anderen aber die erschreckende Erkenntnis, dass meine allesamt nicht gänzlich ungebildeten und doch auch zeitungslesenden Freunde offenbar in einigen Dingen extrem lückenhaft informiert (worden) waren! In mir wuchs der Verdacht, dass unsere Massenmedien ihren Aufklärungsauftrag vielleicht gar nicht so gut erfüllen wie gemeinhin angenommen wird und in diese Bresche wollte ich springen. Sei es auch nur, um meine direkten Freunde zu informieren; vielleicht erzählen die es ja weiter.

Ab April 2009 kam also die Rubrik "Politik" dazu, die schnell zur dominierenden Sparte werden sollte. Mein erstes Steckenpferd war Zensursula, soll heißen die CDU-Kampagne zur Einführung von Netzsperren, die von der damaligen Familienministerin Ursula von der Leyen mit einer Verve betrieben wurde, die an Fanatismus grenzte. Vor allem die unhaltbaren Lügen, die uns die Zensursula-Fraktion nimmermüde entgegenpöbelte, entflammten meinen heißen Zorn. Zu der Zeit setzte ich mich mit meinem ehemaligen Kollegen Alvar Freude in Verbindung, von dem ich wusste, dass er schon von Anfang an gegen Internetzensur kämpfte.

Alvar lud mich ein, am AK Zensur teilzunehmen. Das war mir natürlich eine besondere Ehre und so sagte ich sofort "klar!". Was mir allerdings überhaupt nicht klar war, war, wie krass der AK Zensur arbeitet. 80 Mails am Tag sind auf der internen AK-Mailingliste keine Seltenheit (wir reden hier von richtig langen Mails mit teils extrem hoher Informationsdichte), 3-stündige Telefonkonferenzen bis nachts um eins mit anschließender gemeinsamer Entwicklung einer Pressemitteilung und weiteren Mails bis morgens um vier gehörten ebenso selbstverständlich dazu. Zwar versuchte ich eisern, mit dem Tempo Schritt zu halten, musste aber feststellen, dass ich nicht in der Lage war, dermaßen viele Mails zu einem einzigen Thema zu lesen und auch noch sinnvolle Antworten darauf zu formulieren. Schließlich wollte ich ja mein lieb gewonnenes Blog nicht aufgeben, beides zusammen war aber nicht drin.

Bloggerei ist gut für's Gemüt

Im Mai 2009 (meine Güte, waren wirklich erst 6 Wochen seit dem Angst-Artikel vergangen?) hatte ich dann ein Erlebnis, das mir bis heute in Erinnerung geblieben ist. Eine Bekannte sagte zu mir: "Ich habe jetzt übrigens auch gegen die Netzsperren unterschrieben. Nachdem ich jetzt mal in deinem Blog geblättert habe, konnte ich ja gar nicht anders! Das ist ja die reinste Zensur, was die da vorhaben. So geht's nun echt nicht". Da war ich baff! War es mir wirklich gelungen, jemand zu überzeugen, sich politisch zu engagieren? Ich ertrank in Glückshormonen und mir wurde klar: wenn ich auch nur eine Person dazu bringen kann, wenigstens darüber nachzudenken, was ich hier so schreibe, hat sich der ganze Aufwand schon gelohnt.

Dazu kam, dass in den Kommentaren immer mehr Feedback reinkam, der mich mal bestärkte, mal zum Nachdenken anregte und so manches Mal auch spannende Informationen mit sich brachte. Irgendwann kam auch der erste Kommentar von einer Person, die ich nicht persönlich kannte. Ich erreichte also inzwischen auch Leute außerhalb meines privaten Freundeskreises. Yeah! Im Laufe des Jahres wurde mir immer bewusster, dass dieses Blog mehr war als nur eine Spielwiese für meine Wutausbrüche. Tatsächlich half mir mein Blog zu einem entspannteren Leben.

Von Sofarevoluzzern, aufständischen Schwaben und einem Krieg

Nach Zensursula trat ein neues Problem auf den Plan und hielt somit auch Einzug ins Blog. Als Ureinwohner der Schwabenmetropole war für mich um das Thema Stuttgart21 kein Herumkommen. Im Januar 2010 ging ich das erste Mal zu einer Anti-S21-Demo und war hellauf begeistert, wie viele Leute die gleiche Idee hatten. 3 Tage später sah die Sache allerdings schon wieder gänzlich anders aus. Auch bei diesem Thema waren Unterhaltungen mit meinen Freunden ziemlich niederschmetternd: keine/r wollte S21, keine/r tat was dagegen. Es war mal wieder Zeit für einen Rant. Da ich aber nicht nur meckern wollte, verhielt ich mich getreu meinem Motto "Wenn nur eine Person umdenkt, ist schon was gewonnen": ich sammelte und veröffentlichte von da an wöchentlich die albernsten Begründungen für eine Nichtteilnahme an den S21-Demos.

Wieder kam ich nicht umhin zu erkennen, dass meine Bemühungen Wirkung zeitigten. Immer öfter entdeckte ich meine Freunde auf eben diesen Demos, sie brachten wiederum ihre Freunde und Familie mit und nach und nach wurde aus der anfänglich belächelten Protestbewegung ein politischer Tornado, wie ich ihn noch nie erlebt hatte. Um mein Blog nun nicht zu einem reinen S21-Blog verkommen zu lassen, heuerte ich bei "Bei Abriss Aufstand" an, so dass hier wieder ein bisschen Ruhe und Spaß einkehrten. Die Besucherzahlen dümpelten bei soliden 50-200 am Tag herum und ich war happy mit meinem Blogbaby (aus der Zeit stammt der Spruch von "meinen 3 Lesern").

Dann kam der Tag, der alles ändern sollte. Am 30.09.2010 fand der größte und brutalste Polizeieinsatz statt, den Baden-Württemberg je gesehen hatte. Nach 5 Stunden im Schlossgarten war nichts mehr wie es vorher war. Traumatisiert, innerlich und äußerlich zerschlagen schlich ich nach Hause, stellte mich unter die Dusche, setzte mich aufs Sofa und öffnete YouTube. Und heulte. Eine komplette Stunde lang. Dann versuchte ich eine weitere Stunde lang, mit Leuten zu telefonieren, konnte mich vor Schluchzen aber fast nicht verständlich machen. Also fing ich an zu schreiben.

Am nächsten Tag loggte ich mich in mein Blog ein und wurde von einer Zahl begrüßt, die mich verdutzt die Augen reiben ließ: schon über 5000 Leute sollten meinen Bericht aus dem Schlossgarten gelesen haben? Ich kam recht schnell dahinter, dass ich gefefed worden war. Den Rest des Tages (ich hatte frei) saß ich mit heruntergeklappten Kiefer von meinem Blog und konnte nicht glauben, was dort geschah. Mehr und mehr und noch mehr Leute kamen vorbei, lasen meinen Artikel, bedankten sich, beschimpften mich oder hinterließen sonstige Spuren.

Getting bigger: ich liebe meine Leser

Und sie blieben. Zum Glück nicht alle (sonst hätte ich längst die Kommentare geschlossen. Fefe-Publikum ist eben... speziell), trotzdem waren aus den 50-200 täglichen Besuchern schlagartig 600 geworden und ich muss euch jetzt mal in aller Offenheit sagen: ihr seid ein wunderbares, wunderliches, wunderschönes Publikum! Ihr steht mir mit Rat und Tat zur Seite, deckt schonungslos jeden noch so kleinen Link-Fehler auf, lacht mit mir, ärgert euch mit mir oder knallt mir eine vor den Latz, wenn ich eurer Meinung nach Bullshit quatsche. Auch gerade jetzt, wo ich so erkennbar keinen Bock mehr auf die ganze Scheiße habe, bietet ihr mir vor und hinter den Kulissen Trost und Aufmunterung und das weiß ich wirklich zu schätzen. Ihr seid echt toll!

Dieser erweiterte Leserkreis führte bei mir allerdings auch zu völlig neuen Einstellungen gegenüber und Erwartungen an mein Blog. Plötzlich wollte ich die Leser

a.) halten
b.) unterhalten, sie dabei aber
c.) nicht enttäuschen um sie auf jeden Fall zu a.)
d.) usw.

Außerdem hatte ich Blut geleckt und wollte mehr Leser. Da kam es mir sehr gelegen, dass Daniel überraschend auf mich zu kam und mich fragte, ob ich nicht Teil seines Imperiums werden wollte, was ich ihm natürlich nicht abschlagen konnte.

Das alles führte in meinem Kopf allerdings langsam zu ziemlichen Stress und Erfolgsdruck. Bisher hatte ich mir über mein Publikum noch nicht wirklich Gedanken gemacht, schließlich wurde ich eh fast ausschließlich von meinen direkten Freunden gelesen, die würden mir die eine oder andere Dummheit schon durchgehen lassen. Die vielen Neuzugänge wollte ich aber auf keinen Fall vergraulen und haute deshalb verstärkt Content raus, auf dass ich auch immer schön aktuell und wichtig und so bleibe. Das führte ein bisschen dazu, dass ich hier endlose Linklisten anlegte und mich durch Artikel wühlte, die mich total nervten, von denen ich aber hoffte, dass sie irgendwie doch jemand interessieren könnten... naja.

Dazu kam dann trotzdem das schöne Gefühl, mit diesem Blog tatsächlich Dinge bewirken zu können. Rant schreiben, Gesetz kippen. So in etwa. Als Floyd dann mit der Idee daherkam, auf der Republica einen Vortrag über S21 zu halten und wir tatsächlich genommen wurden, wurde alles nochmal cooler. Plötzlich hatte ich die Gelegenheit, meinen "Stars" ganz nah zu sein, ja sogar selber einer dieser Stars zu sein. Die Party war aber auch wirklich cool :-D

Und damit sind wir in etwa im Heute angekommen. Teil 2 wird hier weitermachen.