Die AdBlocker-Debatte aus Sicht eines Ethikers
Dienstag, 3.11.2015, 07:49 > daMaxSoso. Die Platzhirsche in Kleinbloggersdorf halten die AdBlocker-Debatte für "albern" und "absurd" und greifen auch gerne mal zu "Polemik", um AdBlocker der Lächerlichkeit preis zu geben. So weit, so vorhersehbar. Leider macht niemand das wirklich große Fass auf und fragt mal, wie es überhaupt so weit kommen konnte, dass Werbung einen Stammplatz in der ersten Reihe unserer Gesellschaft reserviert bekommen konnte. Zum Glück springt jetzt James Williams in diese Bresche und schlägt kraftvoll den Deckel von eben jenem Fass. Dabei spricht er mir aber mal sowas von aus der Seele:
What I find remarkable is the way both sides of this debate seem to simply assume the large-scale capture and exploitation of human attention to be ethical and/or inevitable in the first place. This demonstrates how utterly we have all failed to understand the role of attention in the digital age—as well as the implications of spending most of our lives in an environment designed to compete for it.
Unsere großen deutschen Ach-was-bin-ich-cool-und-frei-und-alternativ-Blogs haben kein Problem damit, ständig AdBustings zu posten, in manchen Fällen halten sie sich sogar für "Copyright-Abolitionists" und treten anderer Leute Copyright gerne mal mit Füßen. Aber wehe, es kratzt jemand an ihrem "Einkommen", das teilweise zu 100% aus Werbung stammt. Dann ist aber die Hölle los. So schnell werden aus Rebellen Businesskasper im Schlabbershirt. Huch? War das jetzt beleidigend? Nein nein, das war "Polemik". Ätsch.
Aber lassen wir noch mal James Williams zu Wort kommen, der hat nämlich durchaus wichtige Dinge zu sagen:
We experience the externalities of the attention economy in little drips, so we tend to describe them with words of mild bemusement like “annoying” or “distracting.” But this is a grave misreading of their nature. In the short term, distractions can keep us from doing the things we want to do. In the longer term, however, they can accumulate and keep us from living the lives we want to live, or, even worse, undermine our capacities for reflection and self-regulation, making it harder, in the words of Harry Frankfurt, to “want what we want to want.” Thus there are deep ethical implications lurking here for freedom, wellbeing, and even the integrity of the self.
Ich persönlich halte diese Diskussion weder für albern noch absurd, sondern im Gegenteil für sehr wichtig. Wer hat der Werbeindustrie denn erlaubt, unsere Welt so zu verschandeln?
Wo sie doch auch so aussehen könnte:
Denkt da mal drüber nach.
PS: ein Zitat noch:
Before software, advertising was always the exception to the rule—but now, in the digital world, advertising has become the rule.
Jep. So siehts aus. Aber jetzt den Kopf in den Sand zu stecken und zu sagen "wat willste machen?" ist nicht mein Weg.
(Times Square: Shiyang Huang [CC BY-NC-ND])
(via fefe)
Brauche ich nicht groß drüber nachdenken, weil es eines meiner Lieblingsthemen ist. Finde den Beitrag dazu auch richtig gut. Ich halte es tatsächlich für eine mittlere Katastrophe, dass es akzeptiert ist, dass unsere Welt mit unwahrhaftiger Kommunikation vollgepflastert ist. Und, ja, das kostet verdammt viel Zeit. Ich finde immer noch die Überlegung wichtig, zu welchen weiteren Folgen es führen würde, neben dem Zeitgewinn durch weniger Ablenkung durch Werbung, wenn es keine Werbung geben würde.
1) Viele Medien gäbe es gar nicht mehr. Wenn man für irgendeine Schrottzeitung den Preis bezahlen müsste, den sie ohne Werbeeinnahmen kosten würde, würden sich die Käufer massiv reduzieren. Ähnlich im Fernsehen: würde jemand für das Programm von RTL2 Geld bezahlen? Ich glaube, dass die Produktion und der Konsum von Schrott zurückgehen würde.
2) A propos Produkte: bei käuflich erwerbbaren Dingen würde es um word of mouth und damit mehr um Qualität gehen, wenn es keine Werbung gäbe, mit der man mittelmäßige Produkte groß machen kann.
Ich glaube, dass ein Verbot von Werbung (oder zumindest eine Ächtung, das ist aber noch unrealistischer als ein Verbot) die Welt massiv zum Positiven verbessern würde. Denken so wahrscheinlich auch noch drei weitere Leute in Deutschland, wird also morgen, spätestens übermorgen, sicher kommen.
Ich verstehe die ganze Debatte ohnehin nicht. Spätestens nicht mehr, seitdem ich auf Blogrebellen den Weinkrampf des Hansels mit dem Ohrenschützer las:
»…Weil Werbung ist nämlich ganz, ganz schlecht für den User. Werber und Herausgeber, die Werbung einsetzen um damit ihre Webpräsenz zu finanzieren, sind böse! Natürlich MUSS alles kostenlos sein, Qualität darf nichts kosten und …«
Es hindert Hansel und seine Genossen doch niemand daran, Werbung für Krauss-Maffei Wegmann oder Heckler&Koch einzublenden – nur kann man (bislang) niemanden zwingen, das auch zu lesen.
Und ob ich die Werbung mit Tape auf dem Monitor oder mit AddBlock unleserlich mache, geht niemand etwas an. Das klingt in etwa so, als müßte man den gesamten Inhalt der Morgenzeitung lesen – gleichgültig, wie lausig die Artikel sind.
»Wir verdienen unser Geld damit, lausig geschriebenen und unrecherchierten Mist zu drucken und Ihr habt das gefälligst zu lesen! Und dann gibt es bei Lidl noch eine Gummi-Brötchensäge für Kleinkinder!«
Was die Blogrebellen da nicht blicken ist, dass dieses Pro-AdBlock-Plugin für WordPress ein Kunstprojekt ist. Es ist die Idee, den Spieß herumzudrehen, damit der Groschen vielleicht doch einmal wenigstens bei Einigen fällt.
Aber Kunst und Kreativität sind natürlich "ganz, ganz schlecht für den User. Werber und Herausgeber, die Werbung einsetzen um damit ihre Webpräsenz zu finanzieren".
Weil, Du sollst konsumieren, gehorchen, schlafen.
Wisst ihr was? Das tut gerade so richtig gut. Endlich mal ein paar, die mir nicht nur an den Karren fahren sondern a) die Idee halbwegs richtig verstehen und b) auf meiner Seite sind. Das ist beides nämlich selten geworden in diesem Internet und ich kann ein bisschen Aufmunterung im Moment wirklich gut gebrauchen.
Danke.
Du weisst aber schon, dass „absurd“ (zumindest bei mir) kein Ankacker war oder sowas? Ich hab das schon richtig verstanden, bisschen Dadaismus und so. Deshalb hab ich doch drüber gebloggt. Aber neee, ich bin jetzt Ach-was-bin-ich-cool-und-frei-und-alternativ-Blog. Dada yourself.
@da]v[ax: das war eine deiner besten meta-ideen EVER!
(e.s. to the rescue )
@René: Nee, tut mir leid, hier bricht gerade wieder alles über mir zusammen. Ich hab deinen Post TATSÄCHLICH falsch verstanden und dich zu Unrecht angekackt. Sorry. Zum Glück habe ich keine Namen genannt
Chris meint allerdings, jetzt hat ER euch alle gegen sich in der Diskussion.
Die Heftigkeit der aktuellen Debatte zeigt mMn auf, wie dringend notwendig diese Diskussion ist.
Sorry fürs Anpissen, es könnte sein, dass ich dich zu Unrecht erwischt habe.
Peace?
@da]v[ax: Peace, forever
Zum letzten Bild hab ich noch was anzufügen.
In Sao Paulo ist Außenwerbung seit Jahren verboten.
Die Lebensqualität dort soll dadurch sehr viel besser geworden sein.
http://www.tagesanzeiger.ch/ausland/europa/Wenn-die-Werbung-weg-ist/story/20548953
http://jungle-world.com/artikel/2013/48/48893.html
@megatherium: Hmm, nicht verkehrt. Hier wird (wohl wegen der vielen spätmittelalterlichen Häuser in der Altstadt) auch weitgehend auf Außenwerbung verzichtet, vor allem keine Lichtwerbung, Neon usw. Das empfinde ich im Vergleich mit den benachbarten großen Städten schon sehr angenehm.
In São Paulo müssen sie jetzt aber noch die ganzen farbenblinden Anstreicher und geschmacksfreien Planer umschulen.
Ich persönlich kann Werbung auch nicht leiden.
Genausowenig habe ich Zeit zu verschwenden mit Seiten, die ich mit meinen Einstellungen nicht ohne weiteres lesen/besuchen/anschauen kann.
Sobald also der Seitenbetreiber meint, er müsse Inhalte mit Hilfe von Scripten "verstecken", ist meine Reaktion meist -.
Und dies gilt für alle derartige Methoden der "Nutzerführung", auch wenn sie gutgemeint sind.
Meine Reaktion auf Dein PlugIn als beleidigt zu bezeichnen ist insofern nicht korrekt, sie ist, nach meinem Verständnis, konsequent.
BTW: Dieses fiese kleine "Insekt" da rechts