Vom Zustand der Softwareindustrie: agil, fragil, scheißagil*
Samstag, 18.5.2024, 09:45 > daMaxIch muss jetzt mal meinen Frust loswerden, denn mir geht der Zustand der gesamten softwareproduzierenden Industrie nur noch auf den Sack. Diese Religion namens "Agil" hat in meinen Augen so vieles kaputt gemacht, dass (fast) nur noch Schrott rausgepumpt wird, der dann in einer endlosen Patchorgie in einen besseren Zustand zu überführen versucht wird, wobei dieser Versuch (fast) immer scheitert. Was übrig bleibt, ist meist verbrannte Erde (und verbranntes Geld).
Mal zwei Beispiele aus jüngster Zeit. Fabledom kam letzte Woche in Version 1.0 heraus (nachdem es schon Monate (Jahre?)) in Early Access verfügbar war. Soll heißen, das Spiel wurde in einem ziemlich unfertigen Zustand schon sehr lange von Leuten getestet, die dafür auch noch Geld bezahlt haben (was eine Frechheit für sich selbst ist). Im Laufe von zwei Tagen wurden dann folgende Patches veröffentlicht (das Feld hat seine eigene Scrollbar, sonst würde das den Rahmen eines Blogposts sprengen):
Und ich bin sicher, damit ist das Ende der Fahnenstange noch nicht erreicht. So etwas ist in meinen Augen keine 1.0-Version von irgendwas. Eine 1.0 ist in meinen Augen ein fertiges, crashfreies und ausbalanciertes Spiel.
Das andere Beispiel ist Swords'n'Magic and Stuff, ein Spiel, das ich sehr hart gefeiert habe, als ich es vor ziemlich genau einem Jahr als early-access gekauft hatte. Eigentlich meide ich early-access-Titel inzwischen wie der Teufel das Weihwasser, weil ich mit Foundation so extrem schlechte Erfahrungen gemacht habe (wenn deine komplette Spielwelt nach 400 Stunden Spielzeit plötzlich in sich zusammenbricht, weil der aktuelle Patch die Regeln der Welt so derb verändert, dsass innerhalb weniger Minuten die komplette Bevölkerung entweder verhungert oder abgewandert ist, dann isses halt einfach Kacke). Bei SNMAS habe ich dann eben doch wieder zugegriffen und war erstmal ziemlich begeistert.
Erstmal.
Leider wich diese Begeisterung im Laufe des folgenden Jahres einem zunehmenden Frust. SNMAS wird von einem einzigen Typen entwickelt, der alles in Personalunion macht: Programmierung, Modellierung, Grafik, alles. Und wie es scheint, hat er so etwas noch nie gemacht, anders kann ich mir sein Verhalten nicht erklären. Er frickelt nämlich völlig wahllos an allem möglichen Scheiß rum, baut neue Dinge ein, die alte Dinge kaputt machen, verliert sich in sinnlosen "Add-Ons", die im Endeffekt nur das Grinding für den Spieler in exzessive Höhen treiben, lässt die Community dafür seit einem Jahr auf echten neuen Content warten und patcht das Spiel nach und nach immer weiter ins Chaos.
Das ist alles so traurig und ich werde das Gefühl nicht los, dass dieses "Agil" dafür zu einem Großteil mit verantwortlich ist. Denn wenn du keine Ahnung hast, wie dein fertiges Produkt überhaupt aussehen soll, dann kannst du keine ordentliche Software entwickeln. Punkt. Ich weiß, wovon ich rede, ich entwickele hauptberuflich Software. Du brauchst ein robustes Datenmodell, du brauchst eine robuste Architektur und all das Zeug drum drum, bevor du loslegst. Es ist schlichtweg unmöglich, eine Software, die auf dünnen Beinen steht, nachträglich besser zu machen, indem man immer mehr und mehr Features reinsteckt.
Das. Geht. Nicht.
Da können mir sämtliche Agilapologeten dieser Welt noch so viele Mantras in die Ohren summen und daily standups zelebrieren, bis sie Gicht bekommen: es geht nicht.
Leider hat sich diese Religion derzeit überall breit gemacht und verpestet damit sämtliche Software dieser Welt. Jetzt wisster Bescheid.
*Ich hoffe, meine geneigte Leser|innenschaft erkennt das leicht verballhornte Slime-Zitat.
Früher war alles besser.
Da kosteten die Spiele zwar 49 D-Mark, aber dafür kam ein schöner Karton mit sieben Disketten, einem Poster und einen dicken Handbuch.
Und alles war durchdacht, tausendfach getestet und funktionierte jahrelang ohne Patches und Updates. Weil man es nämlich gar nicht ändern hätte können.
Wieder so eine Sache, die das Internet kaputt gemacht hat.
Und das Agilitätsdenken gibt es ja nicht nur bei Software. Ganze Unternehmen werden so aufgebaut: Einfach mal Geld sammeln, irgendwas machen, schauen ob es einen Markt gibt, notfalls was anderes machen, immer so weiter, Insolvenz, nächstes Startup.
Wenn ich das als Rechtsanwalt so machen würde, liefe das in etwa so: Ich nehme Mandanten an, und wenn ich genug Vorschuss kassiert habe, studiere ich langsam mal Jura. Während ich jeden Monat etwas Neues lerne, probiere ich an den Fällen der Mandanten ein bisschen herum. Trial and error.
@Andreas Moser: bis zur Hälfte des Kommentars dachte ich, du willst mich nur mit Ironie foppen
Nintendo bekommt es zwar auch nicht mehr jedes mal hin aber idR kommen die hauseigenen Spiele ohne jegliche Patches aus.
Dass bei der heute üblichen Crunchculture in der Branche gehäuft Fehler am Ende auftreten ist auch wenig überraschend.
Aber solange es Leute gibt, die Bananaware schon vorab bestellen, weil diese zT mit Dreingaben (bzw Weglassungen in der normalen Version) ausgestattet ist, geht das Spiel der Publisher genau so weiter.
Den Vogel in dieser Hinsicht hat neulich Suicide Squad abgeschossen: bei Vorbestellung gab es "72-hour early access". Kleines Problem beim Launch: das Spiel lief gar nicht und die Server wurden vom Netz genommen.
Aber kein Problem: die Leute bekommen einfach ingame Währung für irgendwelche Skins. Passenderweise nennen sich diese Luthor Coins XD
Ich zock seit Pong-Zeiten, hatte aber mal ca 10 Jahre Pause gemacht. Die Branche hat sich mächtig gewandelt und jünger Spieler sehen die meisten Probleme gar nicht, weil sie nie was anderes erlebt haben als den Liveservicemist.
Eben zieht sich das durch viele Bereiche des Lebens, dass der Endkunde Beta-Tester ist und das Produkt beim Kunden "reift".
Bei Spielen ist es ja schon ein Krampf, wenn diese nur mit Online-Zwang gespielt werden können und andererseits ist bei den Datenmengen ja oft schon ein Download eine Katastrophe, aber auf physische Datenträger würde so manches Spiel gar nicht mehr passen. Schuld sind die Spieler aber teils auch selber, wenn sie trotz des Gängelns bei jedem großkotzig angekündigten Knaller wieder einen Haufen Kohle abdrücken und dann mit Bugs und unspielbarem Mist belohnt werden. Da kloppe ich mir lieber einen Klassiker in die ScummVM oder lege eines der "alten" Games wieder auf, notfalls auch als Remake oder mit neuen Texturen/Hi-Res-Packs wie Duke Nukem oder Descent. So btw. steckt in so manchem alten Click´n´Point mehr Spielwitz als im aktuellsten Grafikmonster.
Aus Umweltsicht ist das ja gar nicht mal so dumm mit dem Download. Wobei die größte Angst der Publisher ja nach wie vor die vor Raubkopien ist, die den Umsatz schmälern.