2x Lügenpresse im Neuland
Samstag, 24.1.2015, 11:55 > daMaxGerade neulich erst habe ich mich noch brutal über Spon geärgert, weil sie einem rechten Hetzer wie Jan Fleischhauer eine Bühne für seine menschenverachtenden Thesen bieten. Schon einen Tag später musste ich jedoch eingestehen, dass Spon eben auch intelligenten Menschen eine Bühne bietet und deshalb nicht rundheraus zu verdammen ist. Als ich nämlich diese Kolumne von Sascha Lobo las dachte ich bei mir "da könnteste eigentlich jeden einzelnen Satz von zitieren". Der Artikel redet von Lügenpresse und Pegida und IS und Terror und Vorratsdatenspeicherung und Überwachung und ist einfach nur gut. Nur gut.
Vom Bann der Ratlosigkeit hat sich die ganze Gesellschaft anstecken lassen, insbesondere die Politik. Es sind diese beiden Berufsgruppen, die am allerwenigsten ratlos erscheinen dürfen: Medien und Politik. Ein tiefes Problem, und nicht allein die Schuld von "denen da oben". Wer würde eine Person wählen, die sagt: Wir sind ratlos, was solche Anschläge angeht, und wissen nicht, wie man sie verhindern kann, obwohl wir schon alles in Grund und Boden überwachen.
Sascha Lobo@spon: Die Medien und die große Ratlosigkeit
Tja, und heute früh erreicht mich dann auch noch ein großartiges Interview mit dem Journalisten Walter van Rossum zum Thema Lügenpresse und Untergang des Journalismus und Volksverblödung und so weiter, von dem ich auch wieder jeden einzelnen Satz zitieren könnte.
Ich bin ja durch und durch von diesen klassischen Medien geprägt. Aber wenn ich heute den Spiegel lese oder die Tagesthemen anschaue, dann bin ich kein Konsument erster Ordnung mehr, der einfach wissen will, was in der Welt geschieht und glaubt, das in diesen Medien finden zu können, sondern ein Beobachter zweiter Ordnung, den nur noch interessiert, was wollen die uns denn heute zu sehen geben, was sollen wir wie verstehen und was gar nicht erst wissen. Kurzum, mich interessieren diese klassischen Organe einer wahrscheinlich immer schon fiktiven Öffentlichkeit nur noch als Produzenten und Vermittler des Weltbildes der bürgerlichen Mitte, die, wie man weiß, inzwischen etwa 95 Prozent der politischen Lufthoheit beansprucht während der verbleibende Rest bereits der freundlichen Beobachtung durch den Verfassungsschutz unterliegt.
Nachdenkseiten: Ja, lügen die Medien denn nun oder nicht? (danke, Michi!)
Wer würde eine Person wählen, die sagt: Wir sind ratlos, was solche Anschläge angeht, und wissen nicht, wie man sie verhindern kann, obwohl wir schon alles in Grund und Boden überwachen.
Eine intelligente Person? Aber Ehrlichkeit ist ja nicht hipp...
Ach, das übliche Bunte-Werbewelt-Geschwätz von der schwafelnden Tapetenbürste. Genau weil uns die Politikerkaste seid Jahrzehnten weiszumachen versucht, ihre Pappnasen hätten auf alles ’ne Antwort und für alles ’ne Lösung, die sie dann regelmäßig doch wieder nicht haben, genau deswegen will die doch keiner mehr haben. Werber Sascha Lobo will das natürlich lieber alles schön bunt und glatt und gut verkäuflich, Packungsinhalt scheissegal.
WvR hat da allerdings was richtig.
Pflichtlektüre: "Die verblödete Republik (Wie uns Medien, Wirtschaft und Politik für dumm verkaufen)" von Thomas Wieczorek, erschienen 2009 bei Knaur, ISBN 978-3426-78908-5
Das Buch hat es sogar in die Bestsellerliste geschafft. "Sogar" deswegen, weil es kein simples Sachbuch oder Belletristik ist. Es ist eine gnadenlose Aufdeckung systemimmanenter Mechanismen, ein kritisierendes und unbequemes Werk, das einen zum Nachdenken zwingt, sofern noch etwas Resthirn existiert.
Der Inhalt ist auf dem Stand von 2009, aber das ist kein Manko. Es werden die Strategien und Algorithmen der Volksverblödung aufgezeigt, mit denen das Volk dumm und gefügig gehalten wird. Das ist zum Teil axiomatisch.
Der Autor hat seine Hausaufgaben gemacht und Literaturhinweise sowie 467 Fußnoten erstellt.