"Es mag Ihrer Herkunft geschuldet sein, ängstlich zusammenzuzucken, wenn auf einer Demo jemand »Schweinesystem!« in die Krawalltüte brüllt."
Donnerstag, 20.7.2017, 17:16 > daMaxWeil in den letzten Tagen viele Menschen denselben Fehler gemacht haben wie Holger, der die Krawallheinis aus Hamburg mit "links" verwechselt, bin ich Pantoufle sehr dankbar für diesen Text, zu dem ich eine unbedingte Leseempfehlung ausspreche. Zitat:
War die Randale im Schanzenviertel »linker Terror«, nur weil sich in einem Indymedia-Artikel nach ein paar Tagen Sätze wie »Wenn wir den Massen vertrauen«, »Die Organisierung vorantreiben, in den Massen verankern« oder »Der Staat greift die Revolutionäre bewußt an« finden? Ist das jetzt links oder einfach nur doof? Muß ich mich mit so einem hanebüchenen Unsinn erst solidarisieren, um mich anschließend davon distanzieren zu können?
Einen Teufel werde ich tun! Denn solcherlei Arten von Dummheit sind durch das verbriefte Recht der freien Meinungsäußerung gedeckt. Klingt erst mal komisch, ist aber so. Ich kann sie ignorieren, doof finden, darüber lachen, aber mich ausdrücklich davon distanzieren muß ich mich in keinem Falle. Man kann sich nur von etwas distanzieren, mit dem man sich vorher solidarisiert hat. Ein tiefgläubiger Mensch ist mitnichten durch seine Religionszugehörigkeit für Bischoff Tebartz-van Elst oder dem Kindesmißbrauch bei den Regensburger Domspatzen verantwortlich, muß sich ergo nicht explizit davon distanzieren. Das hat er durch seinen Glauben bereits getan.
Und so geht das eine ganze Seite lang weiter. Wunderbar pointiert und sowas von ins Mark getroffen. Chapeau.
Du so, 2009:
Ich erkenne eine inhaltliche Entwicklung, was durchaus etwas Schönes ist.
Und: Danke für den Link zu Pantoufle - war mir völlig untergegangen!
@Lolo: au Backe, wie biste denn jetzt auf dieses Zitat gekommen? Da fühle ich mich jetzt ja ganz schrecklich beobachtet na, wenigstens unterstellst du mir inhaltliche Entwicklung, das (und die Tatsache dass du hier seit mindestens 8 Jahren [bisher stillschweigend] mitliest) werte ich jetzt mal als Kompliment.
Auf die nächsten acht, schätze ich.
Nun gebe Ich doch noch meine 2 Pfennig dazu:
Zur (Hintergrund) Info: Ich wohne jetzt seit 16 Jahren in der Schanze. Als Ich hier herzog, gab es noch Heroinsüchtige Fixer im Keller, Crack wurde auf der Straße offen verkauft. Mittlerweile ist alles "Schick" und "Hip", die Mieten haben sich verdoppelt, dafür kommt jeden Morgen der Kehrdienst und "leckt" die Straße von den Partyresten der letzten Nacht sauber.
Meine Meinung zu G20: Die ganze Veranstaltung war ein reines Kasperletheater, und Statisten aus aller Welt haben gerne Kostenlos teilgenommen. Die ganze Innestadt abgesperrt, normale Wege ohne Spießroutenläufe nicht möglich. Maximale Schikane. Zum Donnerstag wurde das meiste schon gesagt. Wirklich Schade, dass das berechtigte Anliegen von zehntausenden Demonstranten unerhört bleiben wird.
Interessant finde Ich den Freitag. Mir als Anwohner kann keiner Erzählen, dass die Eskalation seitens der Polizei/Politik nicht GENAU so gewollt war. Die Demonstranten wurden von der Reeperbahn unter Einsatz von Schlagstöcken, Pfefferspray und Wasserwerfern in die Schanze getrieben. Diese wurde weitlaüfig umstellt, Anwohner sowie Demonstranten nicht rausgelassen. Doch im Gegensatz zu sonst hat man sie dort einfach marodieren lassen. Ich selbst hatte alle Hände voll damit zu tun, mit der Hilfe einiger Nachbarn schwarz vermummte Gestalten (meistens aus Italien) davon abzuhalten, unsere Straße auch noch anzuzünden. Wieso schreibe Ich dazu dass Sie aus Italien waren? Nicht dass mich die Nation an sich interessiert, Ich will nur sagen dass es nicht "die Linken" aus der Flora waren, die Ihr eigenes Viertel in Brand gesteckt haben. Einige von den Flora Leuten haben sogar beruhigend auf andere schwarze Gestalten eingewirkt.
Die "Ausrede" wegen dieses nun berühmten Häusergeländers nicht ins Viertel gekommen zu sein ist wirklich lächerlich. Nicht nur gibt es mindestens 6 andere Wege (an denen jeweils Hundertschaften bereits abgesperrt haben), Ich denke auch dass die Situation am Donnerstag mindestens genau so gefährlich gewesen sein müsste, als sie den gesamten "Schwarzen Block" aufgerieben haben.
Um etwa 23-24 Uhr hatte sich die Lage beruhigt. Mindestens 5 Läden hatten offene Fronten, die Polizei war in zweier Autoreihen auf der Straße und beobachtete gelassen wie Leute munter weiter Plündern. Nicht dass da mal jemand eingeschritten wäre. Hat die nicht die Bohne interessiert. Irgendwann kamen private Sicherheitsunternehmen und versuchten zu Retten, was bis dahin nicht mehr zu retten war.
Am Samstag war spürbar, dass eigentlich keiner mehr Bock auf Randale hatte. Die restlichen Demos, "Spontis" und blockaden waren sehr friedlich und kreativ geprägt. Jedoch musste die Polizei wohl teilweise nachhohlen, wass sie am Freitag verpasst hatten. Einige meiner Freunde und bekannten haben gut was abbekommen. Ich bin größtenteils Zuhause geblieben, habe versucht zu verarbeiten und RT Livestream geschaut. Sonst wäre Ich bestimmt auch nicht ohne ne Ladung Pfeffer weggekommen.
Ich bin hin und hergerissen, kann Ich die Kritik am System nachvollziehen. Ich habe auch nie geglaubt, dass das System "Kapitalismus" sang und klanglos leise untergeht. Es war abzusehen, dass es eher blutig wird. Erlebt man das am eigenen Leib, ist es trotzdem was anderes. Das hatte eine andere Qualtität. Vielleicht bin ich zu alt für die Revolution geworden, aber wenn sie so aussehen sollte, dann lehne Ich dankend ab.
Die eigentliche Frage dieses (deines) Posts ist jedoch, wer ist Verantwortlich. Ich komme aber zu einem anderen Schluss. Für mich trägt der Kapitalismus die gleiche Verantwortung, wie die Politiker die den G20 nach Hamburg gelegt haben, die Polizei welche Willfährig deren Befehle befolgt, sowie den Randalieren, die ohne politischen Hintergrund blinde Zerstörungswut an den Tag legen. Jeder hat da sein Päckchen zu tragen.
Deshalb finde Ich auch der Vergleich von Pantoufle mit der Kirche hinkt gewaltig: Wenn Ich die katholischen Kirche mitfinanziere, dann trage ich doch eine Teilschuld wenn diese durch abstruse Regeln (Zölibat) sich an Kindern vergreifen. Wenn "die Linken" Menschen aus aller Herren Länder dazu einladen, and den protesten Teilzuhnemen und diese dann durchdrehen, tragen Sie eine Teilschuld. Nimmst du einen Bekannten mit auf eine Party mit ihm sonst unbekannten Menschen und der benimmt sich völlig daneben fällt das auch (zu recht) auf einen selbst zurück.
Ich finde, dass man da dann auch schon eine Distanzierung erwarten kann.
"Ja Ich glaube an Gott und den Papst, aber finde es scheisse, dass die Kinder ficken".
"Verdammt, die Demo ist uns aus dem Ruder gelaufen und wir hatten sie nicht mehr unter Kontrolle"
"Sorry dass Ich XY mitgebracht habe, Ich weiss nicht was heute mit ihm los war".
Was kostet das schon?
@Rafael: Moin Rafael
Daß der Vergleich hinkt, will ich gar nicht bestreiten. Wie alle Vergleiche trifft er den Sachverhalt nicht zu hundert Prozent. Ich habe ihn aber nach einigem Überlegen trotzdem gebraucht und versucht, ihn sorgfältig zu formulieren.
Das beginnt damit, daß dort nicht »Gläubiger Katholik«, sondern »tiefgläubiger Mensch« steht. Ich bin nicht der Meinung, daß man für Verbrechen wie bei den Domspatzen ausschließlich die katholische Kirche verantwortlich machen kann. Meine Kritik würde beim gesamten System ansetzen, irgend ein höheres Wesen anzubeten und den daraus resultierenden Organisationsformen (Lies: Machtstrukturen). Das Zölibat allein ursächlich für den Kindermißbrauch verantwortlich zu machen, ist sehr unvollständig. Das ist wohl eher ein gesamtgesellschaftliches Problem, wie nicht nur der Fall Dutroux zeigt.
»Ja, ich glaube an Gott und den Papst, aber finde es scheiße, daß die Kinder ficken«.
Das wäre eine Beileidsadresse, die überflüssig wie ein Kropf wäre. Es gibt meines Wissens keine abendländische Glaubensrichtung, die so etwas nicht explizit verurteilt.
»Ja, ich glaube an den demokratischen Rechtsstaat, aber finde es scheiße, daß die Kinder ficken«
Klingt auch komisch, oder?
»Was kostet das schon?«
Was unter zivilisierten Menschen üblich ist, stellt sich in der Politik nicht unbedingt ebenso dar.
»Sorry dass Ich XY mitgebracht habe, Ich weiss nicht was heute mit ihm los war«
»Schwamm drüber! Vielleicht hätte ich ihm auch nicht das Tränengas ins Gesicht sprühen sollen… wußte nicht, daß er darauf so empfindlich reagiert!«
Das wäre ein denkbarer Ablauf des Gesprächs einer solchen Entschuldigung. Daß dieser Vorgang im Moment aber nicht so abläuft, ist offensichtlich. Es wird nämlich keine Entschuldigung (Distanzierung) verlangt, sondern ein Kotau. Er soll der nachdrücklichen Bestätigung bestehender Machtstrukturen dienen. Das ist etwas vollkommen anderes!
»Vielleicht bin ich zu alt für die Revolution geworden, aber wenn sie so aussehen sollte, dann lehne Ich dankend ab.«
In welchem Alter hält man eine Wirtshausschlägerei für die Revolution? Dabei macht es auch nur einen geringen Unterschied, ob man zufällig in der Nachbarschaft wohnt oder es in der Zeitung liest.
Hi @Rafael, danke für den langen Kommentar. Leider bin ich gerade zeitlich nicht in der Lage, dir länger darauf zu antworten. Pantoufle hat das ja schon getan und viel mehr hätte ich da auch nicht beizutragen. Insgesamt finde ich es einfach nur mega-traurig, dass die Agenda von Herrn Scholz und der Polizei voll aufgegangen ist und die Linke jetzt noch weiter diskreditiert ist, wohingegen sämtliche berechtigte Kritik an G20 von Lieschen Müller jetzt immer im Zusammenhang mit brennenden Autos gesehen werden wird.
Divide et imperare at its best.
Wenn jemand wissen will, wie er an Burschenschaften rankommt oder sonstwie rechts optimiert werden möchte, der abonniert einfach jodel als App.
Natürlich war die Eskalation durch die Polizei von vornherein zumindest billigend in Kauf genommen. Dank der kürzlich verstorbenen Birne ist ja ein Halstuch vorm Gesicht strafbar und damit eine wohlfeile Begründung, unliebsame Demos jederzeit auflösen zu können. Und da es ja gegen "Zecken" (O-Ton Polizei laut Berichten) geht und die "Pressefreiheit hier endet" (O-Ton), kann man ja mal mit voller Härte durchgreifen. Schließlich sind die Demonstranten ja selber schuld, wenn sie sich nicht gegenseitig von der Vermummung abhalten. Nicht praktikabel? Ist ja nicht die Schuld der Polizei, dann lasst halt die Demonstriererei sein.
Es ist sicher deeskalierend gemeint, wenn die Polizeiführung sich vor dem Gipfel der Frechheit damit brüstet, dass man alle "Einsatzmittel" (vulgo Folterwerkzeuge - Soldaten ist der Einsatz von Pfefferspray übrigens verboten, da als unzulässiger Kampfstoff klassifiziert - erschießen ist ja in Krieg erwünscht) aufbieten wird, die die deutsche Polizei so hat. Natürlich "will" man das alles gar nicht einsetzen, aber wenn einen die pöhsen Demonstranten durch ihre schlimmen Straftaten dazu zwingen, was soll man machen. Ist natürlich auch brilliant, so einen Gipfel des Neoliberalismus und der Weltherrschaft des Kapitals unmittelbar in der Nähe zu einem bekannten linksautonomen (oder so) Zentrum abzuhalten - nächstes Jahr in Leipzig-Connewitz? Wär doch mal was. Oder wird da der nächste AfD-Bundesparteitag stattfinden? Die Unterschiede wäre ja marginal.
Und natürlich sprang die Misere als Sprachrohr der reaktionären Hardliner aus der Kiste und träumt schon gleich mal von Notstandsverfassung, Fußfesseln, Sicherungsverwahrung für potentielle Gewalttäter (siehe Bayern) und der Auflösung linker Zentren. Dass er als Bundespolizeiminister gar nicht für lokale Zentren wie in Hamburg oder Leipzig zuständig ist, ist da nur ein unwichtiges Detail am Rande. Dass unser Bundespolizeiminister in Dresden wohnt, passt da irgendwie ins Bild. Natürlich kann man als schwarzbrauner Dresdner mit dem roten Leipzig nicht zufrieden sein.
Natürlich sind brennende Autos schlimmer als etwa brennende Ausländer - jeder gute Deutsche besitzt ein Auto, jedoch in aller Regel keinen Ausländer (mit freundlichem Gruß an die Känguru-Chroniken). Insofern muss man es doch verstehen, wenn brennende Autos für die guten Deutschen schlimmer sind als Bombenanschläge auf Moscheen, brenndene Flüchtlingsunterkünfte oder totgetretene Obdachlose (oder wahlweise tausende Tote im Mittelmeer). Betrifft ja keinen anständigen Deutschen, der ja, wie wir jetzt wissen, weil er was anständiges gelernt hat, keine drei Minijobs braucht.
Nachsatz 1: Nein, ich heiße Gewalt nicht gut, egal von wem und warum. Dazu zählt auch staatliche Gewalt, systemimmanente Gewalt (wie Hartz IV) oder systematische Gewalt der G7/G20-Staaten gegen wirtschaftlich schwächere Staaten oder die Deutschlands gegen Griechenland. Gewalt ist ja bekanntlich nicht nur körperlich....
Nachsatz 2: wer zynische Ironie in meinem Kommentar findet, darf sie behalten.