Netzstimmen zu den Hamburger-G20-Tagen (updates)

Donnerstag, 13.7.2017, 13:20 > daMax

Es werden inzwischen einfach so viele gute Artikel abseites der Tagesschaurealität™, dass ich da jetzt einen großen Sammelpost draus mache, der ggf. aktualisiert wird. Tut mir leid, dass dieses Thema hier gerade so überproportional vertreten ist, aber ich sehe hier ein klassisches Beispiel für die alltägliche Manipulation, der wir durch Tagesschau & Co. ausgesetzt sehen und bietet eine perfekte Übung in Medienzkompetenz.

Ganz am Anfang war Flatter, der ein durchsichtiges Spiel schnell durchschaute:

Diejenigen aber, die behaupten, einen Rechtsstaat zu vertreten, haben nichts falsch gemacht. Weil sie es nur behaupten und die ganze Show genau so haben wollten. Ich beglückwünsche diese Helden; ausdrücklich auch die verantwortliche Heeresleitung.

und heute nochmal nachlegte mit Rote Horden und der totale Rechtsstaat:

Beispielhaft ist de Maizières Wahnvorstellung von "orchestrierter" Randale, die von Verschwörern mit "Knopf im Ohr" geleitet worden seien. Propaganda darf jetzt alles. Von der einfachen Lüge bis zur klinischen Paranoia wird alles in die Mikrophone gefeuert, was aus dem geräumten Oberstübchen purzelt. "Knopf im Ohr" - kenne ich. Wenn meine Tochter joggen geht, hat sie so etwas. Sicher orchestriert sie nebenher den kommunistischen Widerstand. Sie behauptet freilich, sie höre Musik. Oder eine Freundin - die fährt sogar Auto mit Knopf im Ohr, um Polizei und Nachbarn zu überwachen. Ihre Schutzbehauptung: sie telefoniere nur.

Hugo vom Lichterkarussell hat Angst nach den Krawallen:

Nach den schweren Krawallen im Schanzenviertel habe ich große Angst vor meinen Mitmenschen. Es ist nicht so, dass das ein neues Gefühl wäre, die Verrohung der Menschen ist mir häufig aufgefallen, aber man verdrängt das im Alltag. Aber jetzt sind sie wieder da und sie sind laut. Sie fordern Ordnung, Gehorsam und die Todesstrafe.

und

Menschen ertrinken, sterben in LKW, erleben täglich tatsächliche Bürgerkriegszustände und fliehen davor. Andere Menschen gehen genau gegen diese mit aller Gewalt vor, zünden deren Unterkünfte an, von richtigem Zuhause kann wohl in keinem der Fälle die Rede sein, aber das sollen berechtigte Sorgen sein. Nazis morden unter den Augen des Verfassungsschutzes, aber das finden die Menschen höchstens bedauerlich. Ohne die Kritik hier zu arg verkürzen zu wollen, aber selbst bandenmäßig organisierter Diebstahl von Steuergeldern in zweistelliger Milliarden(!!)höhe, wie ihn Journalist*innen von Panorama und Süddeutsche jüngst aufdeckten, bleibt eine Randnotiz. All das macht diese Menschen nicht wütend. Sie werden wütend, wenn ein Twingo brennt und sie zum Rewe 500 Meter weiter müssen. Dann fordern sie die Todesstrafe, sie, die meinen Grundrechte seien etwas, das man verwirken könnte.

Der Kiezschreiber analysiert das Schach mit lebenden Figuren:

Weiß, Zug 1

Das große Jahrestreffen der mächtigsten Politiker der Welt findet in Hamburg statt. Bekanntlich sind Hamburg und Berlin die Heimat der Autonomen und aktionsorientierten Linken. In Hamburg wiederum ist St. Pauli der konkrete Ort der „Szene“ – dort sind auch die Messehallen, die für den G20-Gipfel genutzt werden sollen. Begründung: Man wolle näher am Volk sein. Gleichzeitig wird bekannt, dass man sich von einer Armee von 20.000 Polizisten – das Militär wartet im Hintergrund - vor diesem Volk zu schützen gedenkt. Eine Kontaktaufnahme mit gezogenem Revolver.

Sascha Lobo kolumniert wieder gewohnt reflektiert bei SPONline

Die deutsche Öffentlichkeit ist nicht manipulierbar? Von wegen. Ein paar Videos schwarz gekleideter, Autos anzündender Männer reichen für drei Tage Dauerrage, ohne Rücksicht auf Verluste.

und

Ein SPD-Bundestagskandidat schreibt ernsthaft: "Jetzt verstehe ich, wie sich die Menschen 1933 in Berlin gefühlt haben müssen.…" Ein Hamburger Kreisgeschäftsführer der gleichen Partei twittert: "Kein Fußbreit der Schwarzen SA!"

Das sind nicht mehr verschobene Maßstäbe, das sind verrutschte Realitäten inklusive der Verharmlosung des Nationalsozialismus. "Krieg" wird als Begriff in sozialen Medien unzählbar häufig verwendet.

Ein Land, das die Hamburger G20-Zustände "Krieg" nennt, ist so naiv wie gesegnet.


Pantoufle
von der Schrottpresse hat auch was zu sagen zu Hamburg:

Nicht »die Linken« müssen ihr Verhältnis zur Gewalt klarstellen – die ganze zivilisierte Gesellschaft muß es. Und zu dieser Gruppe gehören ausdrücklich keine Politiker, die so etwas wie Hamburg auf ihrem Gewissen haben genau so wenig wie diejenigen, die dort ausgerastet sind.
Das Wort »ausgerastet« ist mit Bedacht gewählt. Es ist eben ausdrücklich nicht Ausdruck einer wie auch immer gearteten politischer Gesinnung, einen Porsche Cayenne in einen anderen Aggregatzustand zu überführen, sondern eine Trotzhaltung. Für die kann man Verständnis haben. An alle mitlesenden Trolle: Verständnis hat mit Sympathie überhaupt nichts zu tun. Das Wort ist abgeleitet von »Verstand«… ach, vergebliche Liebesmüh…
Nicht zu verstehen, kein Verständnis aber kann man für Teile der Politik haben, die sehenden Auges einem Polizeistaat das Wort reden. Wo kein Verstand ist, dort kann man auch nicht an ihn appellieren. Und natürlich keinesfalls Sympathie haben. Womit wiederum klar sein sollte, wo die potentiellen Sympathien liegen.

John von den Metronauten hat dann doch ein paar Fragen an die Polizei und Innensenator Grote, zum Beispiel diese hier:

7. Warum behauptete die Polizei am Samstagabend, dass ein Supermarkt geplündert wurde und begründete mit dieser Fake News den massiven Wasserwerfereinsatz, der am Pferdemarkt begann? Was war der wirkliche Grund für den Einsatz, wenn am Pferdemarkt die Situation zu Beginn des Einsatzes eher entspannt war?

Update 1:
Auf Facebook beschreiben ein paar Ladenbesitzer ihre Sicht der Dinge:

... die Komplexität der Dynamik, die sich in dieser Nacht hier Bahn gebrochen hat, sehen wir weder in den Medien noch bei der Polizei oder im öffentlichen Diskurs angemessen reflektiert.
Ja, wir haben direkt gesehen, wie Scheiben zerbarsten, Parkautomaten herausgerissen, Bankautomaten zerschlagen, Straßenschilder abgebrochen und das Pflaster aufgerissen wurde.
Wir haben aber auch gesehen, wie viele Tage in Folge völlig unverhältnismäßig bei jeder Kleinigkeit der Wasserwerfer zum Einsatz kam. Wie Menschen von uniformierten und behelmten Beamten ohne Grund geschubst oder auch vom Fahrrad geschlagen wurden. Tagelang.
[...]
Es war eher die Mischung aus Wut auf die Polizei, Enthemmung durch Alkohol, der Frust über die eigene Existenz und die Gier nach Spektakel – durch alle anwesenden Personengruppen hindurch –, die sich hier Bahn brach. Das war kein linker Protest gegen den G20-Gipfel. Hier von linken AktivistInnen zu sprechen wäre verkürzt und falsch.
[...]
Wir haben neben all der Gewalt und Zerstörung an dem Tag viele Situationen gesehen, in denen offenbar gut organisierte, schwarz gekleidete Vermummte teilweise gemeinsam mit Anwohnern eingeschritten sind, um andere davon abzuhalten, kleine, inhabergeführte Läden anzugehen. Die anderen Vermummten die Eisenstangen aus der Hand nahmen, die Nachbarn halfen, ihre Fahrräder in Sicherheit zu bringen und sinnlosen Flaschenbewurf entschieden unterbanden. Die auch ein Feuer löschten, als im verwüsteten und geplünderten „Flying Tiger Copenhagen“ Jugendliche versuchten, mit Leuchtspurmunition einen Brand zu legen, obwohl das Haus bewohnt ist.

Update 2:
Christian Stöcker zieht ebenfalls auf SPON 4 Lehren aus G20

3. Wenn man Polizisten das Gefühl gibt, der Rechtsstaat sei optional, verhalten sie sich auch so.

Update 3: Netzpolitik hat einen Link zwei Materialsammlungen zu Polizeigewalt und Behinderung der Presse