Geistesblitzeinschlag bei Marco Buschmann (FDP)
Sonntag, 30.1.2022, 09:16 > daMaxHabt ihr "Per Anhalter duch die Galaxis" gelesen? Falls nicht: wird Zeit! Eine der ersten Stories darin geht damit los, dass Arthur Dent sich vor den Bulldozer wirft, der sein Haus zugunsten einer Umgehungsstraße abreißen soll. Zwischen ihm und dem Bauleiter entspinnt sich dann folgender Dialog:
“Aber Mr. Dent, die Pläne lagen die letzten neun Monate im Planungsbüro aus.”
“O ja. Als ich davon hörte, bin ich gestern Nachmittag gleich rüber gegangen, um sie mir anzusehen. Man hatte sich nicht gerade viel Mühe gemacht, die Aufmerksamkeit darauf zu lenken. Ich meine, dass man’s jemandem gesagt hätte oder so.”
“Aber die Pläne lagen aus…”
“Lagen aus? Ich musste schließlich zuerst in den Keller runter…”
“Da werden sie immer ausgehängt.”
“Mit einer Taschenlampe.”
“Tja, das Licht war wohl kaputt.”
“Die Treppe auch.”
“Aber die Bekanntmachung haben Sie doch gefunden, oder?”
“Jaja”, sagte Arthur, “ja, das habe ich. Ganz zuunterst, in einem verschlossenen Aktenschrank, in einem unbenutzten Klo, an dessen Tür stand: Vorsicht, bissiger Leopard!”
Wenig später kommen Aliens an, die die Erde zugunsten einer Hyperraum-Umgehungsstraße sprengen wollen. Die Bewohner der Erde sind darüber nur wenig erfreut, woraufhin der Chefvogone lapidar meint:
„Es gibt überhaupt keinen Grund, dermaßen überrascht zu tun. Alle Planungsentwürfe und Zerstörungsanweisungen haben fünfzig ihrer Erdenjahre lang in ihrem zuständigen Planungsamt auf Alpha Centauri ausgelegen. Sie hatten also viel Zeit, formell Beschwerde einzulegen, aber jetzt ist es viel zu spät, so ein Gewese darum zu machen. … Was soll das heißen, Sie sind niemals auf Alpha Centauri gewesen? Ja du meine Güte, das ist doch nur vier Lichtjahre von hier. Tut mir leid, aber wenn Sie sich nicht mal um Ihre ureigensten Angelegenheiten kümmern, ist das wirklich Ihr Problem. Vernichtungsstrahlen einschalten!“
Genau diese Geschichte kommt mir natürlich sofort wieder in den Sinn, wenn ich höre, dass unser derzeitiger Bundesjustizminister von einem neuen Geistesblitz getroffen wurde: wenn man dem russischen Messenger Telegram mit "Sitz" in Dubai schon keine offiziellen Bußgeldschreiben schicken kann, dann veröffentlichen wir sie einfach im Bundesanzeiger!!1! Damit sind sie dann ja quasi zugestellt!!!1!
Kannste dir echt nicht ausdenken, sowas. Wir werden von Bekloppten regiert, sag' ich euch. Fefes Kommentar dazu ist durchaus lesenswert.
(Bild: daMax [Lizenz: WTFPL])
Das muss sich der Bundesjustizminister gar nicht ausdenken, weil das ganz normal ist. Öffentliche Zustellung heißt das Verfahren. (Steht auch so im Gesetz und könnte man mal kurz nachgucken, bevor man sich echauffiert.) Die Idee ist, dass man ein Verfahren nicht auf ewig blockieren oder verhindern können soll, indem man sich versteckt. (Im Anhalter-in-der-Galaxis-Vergleich wäre also Telegram die Behörde mit dem Zimmer im Keller.)
Das wird ständig praktiziert, von Scheidungsverfahren gegen Ausgewanderte oder Untergetauchte bis zu Bußgeldbescheiden gegen durchreisende Autofahrer ohne Sitz in Deutschland oder einem kooperierenden Staat.
Die Vollstreckung ist die nächste Stufe, mit neuen Problemen. Aber die Vollstreckung kann auch in Fällen problematisch sein, in denen die Zustellung kein Problem ist. (Zum Beispiel wenn jemand zwar eine inländische Adresse, aber kein inländisches pfändbares Vermögen hat.)
Das ergibt schon Sinn, diese beiden Stufen zu trennen, auch weil sie unterschiedlichen Rechten, unterschiedlichen Rechtsbehelfen und unterschiedlichen Möglichkeiten der internationalen Zusammenarbeit unterliegen.
Auch der Rest des Rants von Fefe zeigt, dass doch besser (nur) Juristen über juristische Themen schreiben. Was der oder die alles durcheinander bringt, das kann sich nun wirklich niemand mehr ausdenken.
@Andreas Moser: Jetzt stör' doch nicht meine simple Welt mit schnödem Fachwissen
@Andreas Moser: aber nochmal zu Fefes Kommentar: ich finde, er hat schon Recht mit seiner Aussage, dass die Leute massenweise zu einem halbseidenen russischen Messenger greifen, weil hierzulande im Laufe der letzten 15 Jahre sämtliches Vertrauen in Messengers und Krypto von unserer überwachungsgeilen Administration systematisch kaputtgehauen wurde. Ich erinnere nur mal an den unsäglichen "Hackerparagraphen", der heute immer noch am Start ist. Zusammen mit den ständigen "Wir werden euch überall bespitzeln, es gibt kein Entkommen"-Ansagen ist es doch völlig logisch, dass die Leute lieber zu einem intransparenten Russen rennen. Schließlich gibt es keine deutsche Alternative, bei der man nicht das Gefühl hat, dass einem der VS ständig über die Schulter guckt.
@daMax: Aber das ist ja auch kein rechtliches Problem. Bei dem Abschnitt über Zuständigkeit/Jurisdiktion liegt er eben meilenweit daneben.
Und zur Nachfrage nach Telegram: Ich weiß nicht; ich brauche gar keinen Messenger.
(Oder ist Skype ein Messenger?)
Und wenn es den Leuten um Angst vor Überwachung geht, warum laden sie dann jeden Scheiß runter, klicken überall auf Zustimmung, und nehmen das Handy mit ins Schlafzimmer?
Ich meine, ich habe ja auch so ein schnurloses Telefon, und klar kann das jemand abhören. Aber niemals würde ich mir ein internetfähiges Telefon kaufen oder es gar mit meinem PC oder irgendwelchen Accounts verbinden. Und wenn ich wohin gehe, wovon ich nicht denke, dass es jemanden etwas angeht, dann lasse ich es zuhause liegen.
Wenn man Angst vor dem Verfassungsschutz hat, wieso begibt man sich dann in die Hände chinesischer, russischer oder sonstiger Spitzeldienste?
Ich fürchte, die meisten Leute gehen nicht aus technologischen oder juristischen Gründen zu Telegram, sondern weil da halt jemand ist, dem sie folgen wollen. Und wenn Attila Hildmann einen E-Mail-Newsletter verschicken würde, dann würden alle wieder fleissig ihre E-Mails checken. Der Typ könnte wahrscheinlich sogar das Fax-Gerät wiederbeleben, was übrigens eine nette Sache wäre. Denn die Internetcafés langen beim Ausdrucken von E-Mails oft richtig heftig zu.
@Andreas Moser:
Skype ist zwar kein direkter Messenger, sondern eher Videotelefonie.
Der Hang zu Telegram liegt in den einschlägigen Gruppen m.E. eher darin, dass sie dort ihren Nonsens mehr oder weniger auskübeln können, ohne wie bei anderen Portalen Bedenken vor rechtlichen Konsequenzen oder Löschen haben zu müssen.
Ansonsten ist Telegram genauso gut oder schlecht wie Quatsch´s ab oder andere. Eine wirkliche Sache wäre noch Jabber per XMPP und OTR-Verschlüsselung, weil das immerhin kein Closed Source ist und daher der Code offenliegt. Läßt sich mit Pidgin oder auf dem Smartphone per Xabber locker einrichten, ist aber eben keine massenware, falls man sich gerne mit vielen Leuten unterhält.
Um über offene Kanäle seine Geistesgröße zu outen, taugt es erst recht nicht und die Twitter-Alternative Mastodon macht bei solchem offensichtlichen per Community dicht. Dem massenhaften Verbreiten oder wenigstens dem Eindruck einer scheinbaren Masse dienen solche Plattformen also nicht.
Über den juristischen Hintergrund kann ich nicht urteilen, aber Fefes Logik ist dabei nicht so abwegig. Erstens ist Telegram und das dahinter ja kein Staat oder Unternehmen oder was auch immer. Ob da nun ein Bundesjustizminister etwas über besagten Anzeiger zustellt und das ein durchaus übliches Verfahren ist, wird die daher nicht die Bohne interessieren.
Das ist für mich genau solches Spiegelfechten gegenüber Telegram wie die Showveranstaltungen, die jetzt von unseren ganzen Transatlantikern gegen Russland und NS2 aufgefahren wird. Einem Putin oder Medwedjew oder Lawrow direkt gegenüber würden sie jedenfalls ihre Klappe nicht soweit aufreißen. Da geht es einfach nur um das in die Schmuddelecke stellen.
So btw. trifft das auf die ambivalente Haltung unserer Politik(er) bei Assange/Snowden/Kurnaz/El-Masri genauso zu. Während die eigenen Defizite und die der "Verbündeten" totgeschwiegen werden, lehnt man sich bei jeden auch nur vermuteten Fall bis zu den Zehenspitzen aus dem Fenster, wenn es von russischer Seite kommt. Stattdessen verunglimpft man lieber die Menschen wie Nils Melzer. Nur möchte die SZ wegen ihrer Paywall nicht verlinkt werden. Aber die wußten vor 2 Jahren auch schon, dass Assange kein Folteropfer ist.
Beitrag auf Telepolis
Melzers Antwort auf Twitter
Aber Melzer wurde ja auch ganz klar von RT interviewt und diese verteilen seine Aussagen gewürzt mit der eigenen Propaganda. Und wenn die Schlammschlacht gegen den Russen geht, dann ist anscheinend selbst einer SZ jedes noch so unsinnige Mittel recht.