Was machen wir jetzt mit den ganzen Querdenkern?
Mittwoch, 19.1.2022, 15:30 > daMaxDiese Frage stellt sich Sascha Lobo gerade auf SPON.
Querdenker und Impfgegner radikalisieren sich weiter, parallel nimmt die Zahl derjenigen zu, die auf die Straße gehen. Es mögen nur ein paar Prozent der Bevölkerung sein. Aber sie haben sich so tief in ihre verschwörungsraunende Scheinrealität zurückgezogen, dass man sich fragen muss, wie diese Leute jemals zurück in ein halbwegs normales Leben finden sollen. Es sind ja zu viele, als dass man sie nach der Pandemie einfach ignorieren könnte.
Ich hab's noch nicht gelesen, aber Herr Lobo hat bei mir hinreichend Kredibilität um auch mal ungelesen verlinkt zu werden.
Meine Einschätzung, auch aufgrund von persönlichen Kontakten in alle Schattierungen dieses Milieus:
Die Esoteriker werden nach dem Ende der Pandemie sagen, dass sie ja schon immer gewusst haben, dass es nicht so schlimm sei. Sie werden weiterhin zum Homöopathen gehen, sich gegen nichts impfen lassen und viel von Liebe und Achtsamkeit schwafeln. Nervig, aber nicht gefährlich.
Diejenigen, die lautstark demonstrieren, Holocaust-Vergleiche bemühen und sich als letztes Bollwerk gegen die Diktatur sehen, graben sich immer tiefer ein. Wenn man deren Selbstdarstellung im Internet, auf Autoaufklebern und mit Transparenten im Garten sieht, dann merkt man, dass Protest zu deren Identität geworden ist. Ich fürchte, die werden ihren Hass gegen Klimaschützer, Gendersprache, Windräder, den Öffentlich-Rechtlichen Rundfunk, "Mainstream-Medien", den "deutschen Schuldkult" und natürlich gegen Einwanderer, Muslime und Juden richten.
Aber wenn man bedenkt, dass die AfD auch vorher schon bei 15% lag, weiß ich gar nicht, ob dieses Lager wirklich gewachsen ist oder ob die meisten der Hardcore-Corona-Leugner (nicht der Esoteriker) nicht schon vorher wegen anderer Themen radikalisiert waren.
Ich finde es wirklich wichtig, diese Gruppen zu unterscheiden, denn diejenigen, die nur Angst vor Spritzen oder Chemie haben oder gerne schlauer als die versammelte Weltärzteschaft aber ansonsten nicht radikal sind, dürfen nicht in eine Ecke gedrängt werden, wo sie nicht hingehören und eigentlich nicht hinwollen.
Für die anderen braucht man Aussteiger-Programme wie bei Sekten. (Die haben ja auch nur mehr Freunde in diesen Kreisen, nabeln sich von der Familie ab, kündigen ihren Job im Krankenhaus [alles erlebt]. Wenn man privat, also ohne Zuschauer, mit denen spricht, merkt man auch die Angst. Die Leute, die öffentlich lauthals schreien und Polizisten verprügeln, weinen im Privaten relativ schnell, weil sie es nicht fassen können, dass ihnen niemand glaubt und die ganze Welt sich versklaven lässt u.s.w.)
@Andreas Moser:
Ja, so ähnlich steht das ja auch in dem Artikel:
Du meinst dann weiter:
Und da denke ich eher so "hm.... ich weiß nicht". Denn es ist ja leider traurige Tatsache, dass die Vermischung von berechtigtem Protest, Esoterikern, Spinnern, echten Verrückten, stramm Rechten und gewaltbereiten Hooligans real ist und auch keinerlei Distanzierung stattfindet.
Ich kann nicht anders, als das z.B. mit den S21-Protesten zu vergleichen. Da kamen auch ständig Reichsbürger und Neonazis an, die sich in die ganze Protestbewegung reinzecken wollten, aber das haben wir eben nicht zugelassen. Weil wir damit schon gerechnet hatten und wo auch immer uns so ein Schwurbler oder Nazi begegnet ist, gab es klare Kante.
Und genau DAS kann ich bei den radikalisierten Antivaxxern und Verschwörungsgläubigen überhaupt nicht erkennen. Da werden munter Reichskriegsflaggen gechwenkt, Holocaustverharmlosungen akzeptiert, Umsturzpläne, Hass und Morddrohungen verbreitet. Und damit kann ich nicht mehr zwischen irgendwelchen Gruppen unterscheiden, weil die sich ja offenbar selber gar nicht voneinander unterscheiden lassen wollen.
Ich finde es schon ziemlich erschreckend, zu sehen, wie diese "besorgten Bürger" inzwischen die Symbole der Antifaschisten für sich besetzen wollen oder sich für Sophie Scholl halten und dabei wirklich glauben, sie würden das Abendland vor der Diktatur retten indem sie mit Nazis gemeinsame Sache machen. Das ist doch kompletter Wahnsinn und wohin so etwas führen kann, sollte man gerade in Deutschland nie vergessen.
"Ich finde es schon ziemlich erschreckend, zu sehen, wie diese "besorgten Bürger" inzwischen die Symbole der Antifaschisten für sich besetzen wollen oder sich für Sophie Scholl halten und dabei wirklich glauben, sie würden das Abendland vor der Diktatur retten indem sie mit Nazis gemeinsame Sache machen. Das ist doch kompletter Wahnsinn und wohin so etwas führen kann, sollte man gerade in Deutschland nie vergessen."
Genau das ist dieser "dropped frame" dieser Bewegung!
Andererseits hat dieses ständige Provozieren und Spielen mit den Bezügen zum Faschismus Tradition. Dazu brauchst Du nur die entlehnten Symbole, Kürzel oder auch die Sprache dieser Szene herzunehmen. Epikur hatte ich diesbezüglich in einem seiner Beiträge einmal mit Adornos "Jargon der Eigentlichkeit" dezent gestupst.
Und das geschieht mit voller Absicht. Das ideale Lehrbeispiel dafür ist Bernd "das Brot" Höcke, der ständig mit diesen Kampfbegriffen rhetorisert, um direkt danach zu behaupten, dass er das niemals so gemeint hat, wie es interpretiert und von seinen "Fans" auch richtig verstanden wird.
Schon da sollte jedem Teilnehmer und Betrachter dieses Protests mit mehr als einem Funken Intellekt klar sein, dass hier etwas ganz gewaltig schief geht.
Ich sehe es ja durchaus auch so, dass hier nicht unbedingt der fortschrittlichste Teil unserer Gesellschaft die meist nur suggerierte Masse darstellt, die die eigentlichen Demagogen sonst nie auf die Beine brächten mit ihrem Gesülze. In der Mehrheit ist es wie meist anfangs bei solchen Sachen der von vermeintlichen und wirklichen Verlustängsten geplagte Teil unserer Gesellschaft. Diese sehen sich einerseits als Abgehängte, brauchen andererseits einen Schuldigen. Der ist dann je nachdem der Ausländer, die Politik, bestimmte andere menschengruppen, die einem etwas vorschreiben wollen, was der eigenen Lebensrealität widerspricht uswusw.
Das macht die Sache mental halt leicht und hat neben dem vermeintlich leichten Lösungsansatz aber ein unheimliches Gewaltpotential in sich. Denn wenn der gemeine Bürger mit diesem kurzsichtigen Frust und unter Decken und Billigen einer über ihm stehenden Macht ausrasten kann, wird er zum Mob. Dann entstehen solche Bilder wie in Rostock, Hoyerswerda, Mölln, Solingen oder vor den Flüchtlingsheimen oder thematisch ganz anders beim Pogrom auf das Gewerkschaftshaus in Odessa, der in meinen Augen ein offen rechtes Verbrechen ist und von der ukrainsichen Staatsmacht geduldet und protegiert wurde. S21 ist das Paradebeispiel der jüngeren Vergangenheit in Baden-Württemberg dazu. Nicht umsonst werden speziell Verbrechen an Kindern oder mit sexualisierter Gewalt so aufgeblasen, sobald ein irgendwie ausländischer Täter dahinter vermutet wird. Das hat auch das Silvester in Köln so zum Thema werden lassen und die Medien haben dabei auch ein sehr schlechtes Bild abgegeben bei dieser Hatz.
Dieser Grat ist derzeit auch sehr schmal, wie man an den Übergriffen auf Arztpraxen, Impfzentren et al sieht und kann jederzeit in offene Gewalt umschlagen. Die eigentlichen Verantwortlichen stehen dahinter und klatschen Beifall. Im gegensatz zu solchen Protesten wie S21 kannst Du davon ausgehen, dass rechte Hintergründe vertuscht werden und das kriminelle kleingeredet oder geleugnet wird, wie es beim NSU auch geschah neben dem ganzen m.E. nicht unbewußten Ablenken. Sobald irgendwelche Institutionen mit drinhängen und das tun sie meist und meines Erachtens auch auf die eine oder andere Weise bei den Querdenkern, wird sowieso verschmiert und vertuscht nach allen Regeln der Kunst.
Auch da gibt es genügend Beispiele, wenn bei einem vermutlichen Zusammenhang mit einem ausländischen und bevorzugt russischen Geheimdienst die ganze Medienkavallerie schier Amok läuft, während in solchen Fällen wie Ed Snowden, Julian Assange oder den im Laufe des NSU-Prozesses wie die Fliegen sterbenden Zeugen kurz vor der Aussage das berühmte Schweigen im Walde herrscht. Nicht ein Fitzelchen Druck und investigatives Forschen ausser von ein paar Einzelnen, die ignoriert und selber diffamiert werden, fand und findet in solchen Fällen meist statt.
Lange Rede - kurzer Unsinn:
Sollte das Desaster irgendwann wieder in "normalen" Bahnen laufen, sind die meisten wieder in der Versenkung verschwunden bis zum nächsten Drama, die treibenden Kräfte suchen sich neue Felder und wirklich Verschwörungsgläubige holt sowieso keiner mehr zurück. Einen wirklichen Ansatz sehe ich da nicht. Die Einen bekommen die Kurve, die anderen halt nicht und in schlechten Zeiten haben esoterische Vereine inklusive der Kirchen und (Ersatz)-Religionen immer Konjunktur. Und so etwas in der Art sind ja auch die Querdenker und genau wie andere ziehen diese auch noch materiellen Nutzen daraus.
@daMax: Du hast recht was die anbelangt, die auf die Straße gehen oder im Internet "aktiv" sind. Die haben jedes Maß verloren und grenzen sich nur mehr ganz selten ab.
Aber ich meinte die Antivax-Esoteriker, die zuhause sitzen und Ingwertee schlürfen, um ihr Immunsystem zu stärken. Meine Mutter ist so eine, vielleicht lege ich deshalb so viel Wert auf diese Abgrenzung.
Sie glaubt, dass Corona eine reale Gefahr ist. Sie trägt selbstverständlich eine Maske. Sie geht so wenig wie möglich aus dem Haus, und wenn, dann allein in den Wald. Sie findet die Demonstrationen dämlich, überzogen und gefährlich. Sie fände auch einen Lockdown mit Fabrikschließungen in Ordnung. Aber sie lässt sich nicht impfen. (Weil sie ihren Körper selbst am besten kennt, blabla.)
Und ich kenne mehrere solcher Leute. Zum Teil aus esoterischen Ecken, jahrelange Homöopathie- und Reformhaus-Kunden, manchmal auch stark christlich. ("Wenn Gott findet, dass es Zeit ist, zu sterben, dann ist es halt so.") In einer Familie hatten fast alle Corona, zum Teil mit Langzeitfolgen (Herzmuskelentzündung und wiederkehrende Thrombose). Sie leugnen nicht den Zusammenhang mit Corona. Sie halten sich an die Quarantäne. Aber anstatt Impfung nehmen sie Homöopathie, beten zu Gott und glauben, dass sie widerstandsfähig sind, weil sie keinen Alkohol trinken und nicht rauchen.
Und all diese Menschen, so anstrengend es sein kann, mit ihnen zu diskutieren, sollten wir nicht in eine radikale Ecke drängen. Da müssen Brücken und Verbindungen bestehen bleiben. (Wie im Ausgangskommentar gesagt, ich kenne auch radikale Querdenker persönlich. Die kennen kein anderes Thema mehr, vom Aufstehen bis zum Einschlafen. Die sind von Hass, Wut und Verzweiflung zerfressen. - Als ich von dem Tankstellenmord gehört habe, dachte ich, weil es geographisch gepasst hätte: "Oje, hoffentlich war das nicht X." Ehrlich, es hätte mich nicht überrascht. - Ich will also keineswegs etwas verharmlosen. Diese Gruppe ist meiner Meinung nach für die konstruktive Gesellschaft verloren. Die gehen nicht mehr zur Arbeit. Die haben ihre eigenen Läden, ihre eigenen Ferienwohnungen, sogar ihre eigene Dating-Plattform. Die haben sich eine Parallelwelt gebaut. Da helfen, wie gesagt, allenfalls Aussteigerprogramme wie bei Sektenopfern.)
@Andreas Moser: Das ist echt starker Tobak, vor allem der letzte Absatz :-X
@daMax:
Ich glaube, Esoteriker, Hooligans, stramm Rechte, Spinner, echt Verrückte, und Vertreter berechtigter Kritik an den Maßnahmen werden sich sehr bald gehörig auf die Nerven gehen, sobald das gemeinsame Feindbild verschwunden ist.
Und dann gehen sie wieder ihre eigenen Wege. Zu Naturheilkundlern und Homöopathen, zu Prügeleien am Rande von Fußballspielen, zum AfD-Wählen oder zum weiter Spinner sein... Aber hier ist keine homogene, auf Dauer funktionierende Gruppe entstanden.