Gastbeitrag: Joachim Bellé

Mittwoch, 2.6.2010, 22:09 > daMax

Joachim Bellé vom AK Zensur hat einen Text verfasst bezüglich der Idee, Ursula Von Der Leyen zur Bundespräsidentin zu küren. Er spricht mir dabei so sehr aus der Seele, dass ich ihn gefragt habe, ob ich den Text hier veröffentlichen dürfe. Joachim hat mir dazu sein Einverständnis signalisiert und so freue ich mich nun über den ersten Gastbeitrag dieses Blogs.

---------------------------

Zensursula for President?

In der politischen Diskussion sind momentan Ursula von der Leyen und Schäuble als Nachfolger Köhlers für den Posten des Bundespräsidenten im Gespräch. Die Netzbewohner sind mehr als erschrocken, stehen diese Politiker für viele doch für Zensur und Netzkontrolle, für die Onlinedurchsuchung und Überwachung.

Köhler macht es uns allen wirklich nicht leicht. Sein Rücktritt reißt ein Loch. Hat er sich doch vom Symbol für konservative Politik - er war immerhin Banker und auch mal Staatssekretär - zu einem respektablen Präsidenten entwickelt. Mit der Verweigerung zur Unterschrift des Flugsicherungsgesetzes und Verbraucherinformationsgesetzes schrieb er Geschichte. Bürgerrechtsgeschichte, wenn man so will. Wenigstens dafür hat er Respekt verdient. Die Unterschrift unter das Zensurgesetz enttäuschte uns zwar, doch war damals jedem klar, dass dieses Gesetz sowieso nicht haltbar war. Möglicherweise hat die Unterschrift sogar den Weg geöffnet, Löschen statt Sperren festzuschreiben. Nein, Köhler war nicht der schlechteste Präsident. Unangenehm, das war er. Genau damit tat er, was seine Pflicht war.

Nun wird vorgeschlagen, dass von der Leyen oder Schäuble in seine Fußstapfen treten. Eine Verweigerung von Unterschriften zu Gesetzen wird es mit ihnen wohl kaum geben. Wie einstmals Köhler sind beide geradezu ein Symbol für die schwarze Regierungsmehrheit, für konservative Politik. Die FDP kann, immerhin gehören ein Herr Baum und eine Leutheusser-Schnarrenberger dieser Partei an,
diesen Vorschlägen kaum zustimmen. Denn sie belegen - so finde jedenfalls ich - dass unsere Regierung immer noch nicht in der Informationsgesellschaft angekommen ist.

Mein Präsident müsste verstehen: Information schafft Bildung und Bildung ist der einzige Weg aus der Krise. Bildung vernichtet Terror. Zu Kompetenz gehört auch, das Schlechte zu sehen und vor allen Dingen sich deshalb dagegen stellen zu können. Information macht Menschen mündig und verantwortlich, ist eine Voraussetzung für unsere exportorientierte Wirtschaft. Wollen wir im internationalen Markt bestehen, so nutzen uns Copyright-Gesetze und Reglementierung gar nichts. Wir müssen einfach nur besser sein, als die Plagiatoren. Wir müssen kreativ und kompetent sein, können und dürfen uns nicht auf Lorbeeren oder Patenten auszuruhen. Wir müssen aufhören zu proklamieren, Wissen sei eine beschränkte Ressource. Sonst schaffen wir eine selbst erfüllende Prophezeiung. Sonst erschaffen wir unsere eigene Dummheit.

Jede Reglementierung oder Einschränkung der Information verstärkt Unwissenheit. Geheime Datensammlungen, ausufernde staatliche oder gar private Kontrollmöglichkeiten trennen den Staat von seinen Bürgern. Persönliche Identifikationsnummern reduzieren Menschen auf den erfassten Datensatz, auf eine "human resource". Dementsprechend geht man mit ihnen um.

Jemand, der meint, niemand dürften erfahren, was Menschen Kindern antun, Stoppschilder aufstellt und das Internet zensiert, dafür aber mit polternder Polemik an der Sache vorbei ein Horrorszenario an die Wand zeichnet, daraus sogar politischen Vorteil schlägt, wie kann der ein Bürgerpräsident sein?

Wie kann jemand Bundespräsident werden, der ohne jede Rechtfertigung Länder der Duldung oder Verbreitung von Missbrauchsdarstellungen beschuldigt? Soll der Bundespräsident uns nicht auch im Ausland repräsentieren? Wie kann jemand ernsthaft einen Bundespräsidenten vorschlagen, der Massenproteste, die Demonstration „Freiheit statt Angst“ oder die größte Petition gegen ein
Gesetz in der Geschichte Deutschlands ausgelöst hat? Niemand kann ernsthaft einen Präsidenten wollen, der die vom Verfassungsgericht gekippte Vorratsdatenspeicherung mitgetragen hat.

Man mag einwenden, die Befindlichkeiten der Netzbewohner sind heute nicht das Hauptproblem der Politik. Das ist korrekt. Ein echtes Problem ist die Finanzkrise. Dazu sagte ich schon etwas. Also brauchen wir gerade hier einen
Präsidenten, der nicht nur Interessen von Banken sieht. Ihm sollten dem Bürgerrechte, so wie sie im Grundgesetz festgeschrieben sind, am Herzen liegen. Wir brauchen einen Präsidenten der in der Informationsgesellschaft angekommen ist, der in der Lage ist, mit uns diesen Weg weiterzugehen. Dieser Präsident muss integrieren können, innerhalb und außerhalb Deutschlands und vor allen Dingen auch zwischen den Generationen.

Da schadet es sicher nicht, wenn der versteht, was an Killerspielen reizt, wie sich ein Arbeitsloser fühlt oder warum Oma Erna erschrocken den Netzstecker zieht, wenn sie ein Stoppschild auf dem Monitor sieht und dann meint, sie hätte gerade das Internet "geschrottet".

Ein Präsident, der das und mehr versteht, der könnte ein eindeutiges Zeichen sein, dass sich die Regierung als Teil dieses Staats versteht, das sie versteht, in unserem Auftrag zu handeln. Die richtige Wahl könnte ein Zeichen setzen, ein ganzes Volk einen. Ich habe keine Ahnung, ob Herr Baum geeignet wäre. Doch das Symbol, für das der steht, ist nicht so weit weg von dem, was wir jetzt brauchen. "Zensursula for President" steht dagegen für das genaue Gegenteil.

Joachim Bellé, 02.06.2010