"Wissenschaft" und "Forscher"
Freitag, 6.1.2012, 10:46 > daMaxHm... unter der Rubrik "Wissenschaft" taucht im ehemaligen Nachrichtenmagazin ein reißerischer Artikel auf, der mit folgendem Geblubber daherkommt:
Jedes Jahr greifen 200 Millionen Menschen weltweit zu illegalen Drogen wie Haschisch, Marihuana, Kokain oder Heroin. Forscher fordern nun strengere internationale Verträge gegen den Missbrauch. Bis jetzt habe es zu viele Schlupflöcher gegeben.
Vor der Lektüre sei dringend gewarnt, billigere Propaganda findet man nur selten.
"Forscher" fordern das also? Wollen wir doch mal festhalten, dass Hanf einfach eine Pflanze ist. Und dass die Illegalität dieser Pflanze von Menschen mit mehr oder weniger durchsichtigen Motiven durchgeboxt wurde. Vor allem die ölverarbeitende Industrie hatte ein großes Interesse daran, die Nutzpflanze Hanf zu verteufeln. Ich darf in dem Zusammenhang auch noch einmal daran erinnern, dass das Hanfverbot nicht mal 100 Jahre alt ist, ungefähr so lange verarbeiten wir Öl zu Werkstoffen und Pharmazeutika (ja, plusminus ich weiß).
"Forscher" fordern also "strengere Verträge" gegen den "Missbrauch". Was heißt in diesem Zusammenhang "Missbrauch"? In der CDSU-Sprache ist Gebrauch == Missbrauch und genau so wird das hier auch verwendet. Das ist bullshit. Ein Missbrauch setzt voraus, dass es auch einen Gebrauch geben muss. Sonst könnte man etwas ja gar nicht missbräuchlich einsetzen, ne? Also nochmal: was wird hier missbraucht? Die Pflanze? Die will nur leben. Alles, was die Pflanze also vom Leben zum Tode befördert wäre - im Sinne der Pflanze - ein Missbrauch. Damit wäre jeder Verzehr von Tieren und Pflanzen auch Missbrauch. Der Körper eines Kiffers vielleicht? Wird der beim Kiffen missbraucht? Dann wäre jede Zigarette und jedes Bier auch ein Missbrauch.
Hm... bleiben wir doch bei der Analogie zum Bier. Hier lassen sich tatsächlich Missbrauchskriterien fest machen. Wir alle sind uns einig, dass ein Bier alleine noch keinen Missbrauch darstellt. Auch 2 oder 3 nicht. Von Missbrauch könnte man vielleicht reden, wenn man soviel (wahlweise auch: so regelmäßig) Alkohol trinkt dass entweder die Umwelt oder der eigene Körper darunter leidet. Was den eigenen Körper angeht: niemand in Deutschland käme auf die Idee, Alkoholmissbrauch unter Strafe zu stellen. Totsaufen darf sich der Deutsche Michel allemal. Und die Umwelt (ich denke da jetzt in erster Linie an Mitmenschen, die durch gewalttätige Besoffene verdroschen werden)? Naja, wir führen jetzt mal Alkoholverbote in U-Bahnen ein. Das wird's mit Sicherheit® bringen
Kommen wir zurück zum Gras. Nach Ansicht der "Forscher" (und offensichtlich auch des SPIEGEL-Autors) muss "Drogenmissbrauch" stärker geahndet werden. In Analogie zum Bier frage ich jetzt nochmal: was ist Drogenmissbrauch? Wer seinen eigenen Körper "missbrauchen" will (sic!): bitte wo ist das Problem? Die Krankenkassenbeiträge? Ich bin sicher, hier ließe sich eine entsprechende Regelung finden. Schließlich "belohnen" einen manche Kassen heute schon, wenn man nicht mehr zum Arzt geht. Damit sind wir dann wieder bei der "Umwelt". Was Gewalttaten im Zusammenhang mit Cannabiskonsum angeht: da kann ich nur müde lächeln. Solche Horrorstories können sich nur Leute ausdenken, die noch nie gekifft haben. Andere denken da anders.
Von dem Verhältnis 200 Millionen : 7 Milliarden fange ich jetzt gar nicht erst an.
Wie wäre es statt mehr Verboten mal mit einer Legalisierung? Portugal hat gerade eben bewiesen, dass eine Drogenlegalisierung nicht der Untergang der westlichen Zivilisation ist, und wir reden dabei auch von "harten" Drogen...
Ich bin auf eure Meinung gespannt.
Bild: Some rights reserved by GUS314159
Ahh, da hast Du ja mal wieder ein spannendes Thema ausgegraben. 8)
In einer "Community", der ich irgendwann einmal angehörte, sie dann aber wegen fehlender Glaubwürdigkeit der Betreiber verlassen habe, war das auch mal Thema. Ich bin jetzt mal so frei und kopiere den Text, den ich da mal reingehackt habe, einfach - leicht abgewandelt - zu Dir. Ich darf das zwar nicht, weil nach den AGB der "Community" meine Texte denen gehören, aber die sollen mir mal kommen und Ansprüche erheben.
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Wir reden, wenn es um Drogen geht, immer über die selben Substanzen: Alkohol, Tabak, Marihuana, Kokain, Heroin, LSD und was es da nicht alles gibt. Wenn wir gerecht und ehrlich sein wollen, dann müssen wir uns aber auch über Pharmazeutika, Kaffee, Zucker, Fernsehen, Sex und den Konsum im Generellen unterhalten. Nicht zu vergessen sind natürliche Drogen, wie z. B. Johanniskraut zum Aufhellen der Stimmung und Baldrian um runter zu kommen.
Wir schwimmen geradezu in Drogen, denn unser Alltag ist voll davon. Drogen werden von den Menschen als Genußmittel konsumiert. Das ist ein Tatsache, die anerkannt werden muss. Die drogenfreie Gesellschaft ist eine Illusion.
Was mich dabei stört ist die Verlogenheit, die den gesellschaftlichen Disput färbt. Mal ganz abgesehen von wirtschaftlichen Interessen, wie z. B. die der Pharmaindustrie, die selbstverständlich ihre eigenen Glückspillen (Prozak) verkaufen will, spielt die Politik eine entscheidende Rolle darin, dass die Rahmenbedingungen im Umgang mit Drogen so bleiben wie sie sind. Auf diese Art wird der gesellschaftliche Umgang mit Drogen nicht verändert.
Im Sport wird auf Teufel komm raus gedopt, auf dem Bundestagsklo werden Spuren von Kokain nachgewiesen, Komasaufen ist die Hauptbeschäftigung von Jugendlichen am Wochenende und kaum ein Geldschein ist im Umlauf, der nicht mit irgendwelchen Drogen in Berührung gekommen ist. Die Drogen sind überall - sogar in uns. Da heißen sie aber Endorphine.
Udo Pollmer und seine drei Mitautorinnen schreiben in ihrem Buch "Prost Mahlzeit"[1], dass in der Muttermilch Exorphine sind, die auf das gestillte Kleinkind wie Opium wirken und es regelrecht süchtig machen. Das weiß man schon seit 1979.
Oder nehmen wir die Verwunderung darüber, dass gefühlte 98% aller Menschen schwach bei Schokolade werden. Das hat Gründe. Schokolade beeinflusst unsere Stimmung. Das liegt einerseits an den Zutaten wie Kakao, Zucker und Fett, aber anderseits auch daran, wie sie hergestellt wird. Bei der Fermentation des Kakaos entstehen "biogene Amine", aber die eigentliche Ursache für die Sucht nach Schokolade, so die Autoren des Buches, dürften Opiate sein. Die entstehen nämlich beim "Conchieren", einem Verfahren, bei dem "die Masse in milder Wärme über viele Stunden innig miteinander verrieben und verknetet" wird. Die "biogenen Amine" bekommen damit die optimalen Bedingungen um Opiate zu bilden. Das Milchpulver was dann noch hinzugegeben wird, könnte den Effekt verstärken, denn eine Tafel Milchschokolade enthält mehr Eiweiß als ein Glas Milch. Die von Natur aus in der Milch vorhandenen Exorphine sind der Bonus obendrauf. Kein Wunder, dass wir vor allem an trüben Tagen und um die Weihnachtszeit am meisten nach Schokolade lechzen.
So einfach ist es nicht mit den Drogen und dem, was uns süchtig nach irgendwas macht. Wo liegt die Grenze zwischen Genuss und Mißbrauch? Welche guten Seiten und für uns hilfreiche Eigenschaften bringen diese Substanzen mit? Marihuana zum Beispiel. Ist das nur eine Pflanze für Kiffer, deren einziger Zweck darin besteht, "stoned" zu machen? Oder ist THC vielleicht auch medizinisch zu gebrauchen? THC ist bei manchen Erkrankungen und Behinderungen ein wirksames Schmerzmittel ohne Nebenwirkungen. Es hilft Krebs- und AIDS-Patienten bei Appetitlosigkeit, was manchmal entscheidend für den Krankheitsverlauf sein kann. Warum müssen diese Menschen, die die Kraft zum Kämpfen eigentlich für sich selbst brauchen, so sehr um diese Hilfe streiten? Der einfachere Weg ist dann gegen geltendes Recht zu verstoßen und sich in die Beschaffungskriminalität zu begeben. Keinen von denen kann man das verdenken, denn die morlische Schuld trifft andere.
Was aber kann man dagegen tun? Nur der offene und ehrliche Umgang mit Drogen und die Aufklärung als oberstes Ziel, können die bestehenden Verhältnisse ändern. Es braucht differenzierte Therapien für die, die bereits in einem Suchtkreislauf gefangen sind und Suchtmittelwerbung sollte verboten sein (ist da die Schokolade auch dabei?). Es gilt die wirklichen Profiteure zu entlarven und auszuschalten, aber unsere Polizei verbrennt lediglich einen Haufen Zeit und Geld auf ihrer Jagd nach den "kleinen Kiffern". Die wirklichen Süchtigmacher allerdings tragen Anzug und Krawatte und gehen nicht selten im Bundestag ein und aus.
Und bei all dem stellt sich mir die Frage, ob es nicht auch ein Grundrecht auf Rausch gibt?
[1] Udo Pollmer, Andrea Fock, Ulrike Gonder, Karin Haug, "Prost Mahlzeit - Krank durch gesunde Ernährung", erschienen im KiWi-Verlag, ISBN: 3-462-03012-4