Ein offener Brief von Pantoufle an Jakob Augstein.
"Die erste Freiheit der Presse besteht darin, kein Gewerbe zu sein. (Karl Marx)"
Daß der Tag kommen würde, an dem auch ernsthafte Journalisten auf den Zug der »Kostenlos-Kultur im Internet« aufspringen würden, war klar. Die Art und Weise, wie Sie persönlich diesen Tag gestalteten, überrascht aber doch in mehrfacher Hinsicht. Es hinterlässt wenigstens bei mir gelinde Zweifel über ein grundsätzliches Demokratieverständnis ihrerseits, wenn die Kasse nicht mehr stimmt.
In Ihrem Artikel »Schluss mit kostenlos« auf dem Internetportal »der Freitag« feiern Sie auffallend euphorisch die Entscheidung des Springer-Verlages, eine Paywall einzuführen als einzig verbliebenen Schritt in die richtige Richtung.
[...] Aber dennoch war das für den deutschen Journalismus ein wichtiger Tag: Springer will der Kostenlos-Kultur im Netz den Garaus machen. Wenn es einen Verlag gibt, der dieses Ziel erreichen kann, dann ist es Springer. Auch wenn manche Netzfundamentalisten das noch nicht wahrhaben wollen: Der Rausch des freien Netzes ist vorüber. Es ist der Morgen danach.
Was da wie Armageddon daherkommt, ist schlecht anders als eine Kriegserklärung zu verstehen. Da sitzt man erst einmal ganz ergriffen und schweigt. Ist das derselbe Jakob Augstein, der an anderer Stelle zum Leistungsschutzrecht für Verleger schrieb:
»Das Internet ist zu großartig, um es Springer und Co. zu überlassen. Der Streit um das Leistungsschutzrecht ist ein Lehrbeispiel für die verderbliche Wirkung des Lobbyismus. [...] Wenn überhaupt kann man den Streit darüber, wer an Texten im Internet Geld verdient, als Lehrbeispiel für die verderbliche Wirkung des Lobbyismus lesen. Und darüber, wie unsinnig industriepolitische Bemühungen in einem Umfeld sind, das einem dynamischen Wandel unterworfen ist.«
Die Zeiten haben sich offenbar geändert – oder die Tiefwassermarke der Kasse ist unterschritten. Gerade mal etwa ein Jahr ist dieser Artikel alt. Und nun das Hohelied auf den Springerverlag. Man wundert sich; der Wind hat sich gedreht.
Sie erinnern sich vielleicht: »Das Internet ist zu großartig, um es Springer und Co zu überlassen.« Stimmt. Das Internet ist seiner Idee nach ein zutiefst demokratisches Medium. Eine Demokratie, die Sie ihm in Ihrem neuen Artikel absprechen:
Ohne Journalismus gibt es keine Demokratie. Vielleicht ist unser Journalismus nicht gut genug. Sicher ist unsere Demokratie nicht gut genug. Aber das eine braucht das andere, und das Netz untergräbt beides.
Ich übergehe an dieser Stelle einmal die unglückliche Wortwahl, die sich durch Ihren gesamten Text zieht. Es sind die gleichen Plattitüden, die immer dann aus der Schublade geholt werden, wenn im Netz ein Geschäftsmodell wieder einmal scheiterte. Auch Sie, Herr Augstein, haben ihre Produkte frei ins Netz gestellt, auf das sie jeder lesen kann. Beschweren Sie sich also nicht, schieben Sie nicht den schwarzen Peter dem Leser zu. Jedem vollsinnigen Menschen war klar, daß Sie damals damit ein Geschäftsmodell verbanden, daß irgend wann dem Konsumenten verkauft werden muß – an anderer Stelle sprechen Sie von einem »Kulturwandel«. Auch das ist ein falsches Wort dafür. Machen Sie nicht die Kultur des Internets (und um eine solche handelt es sich) für das Scheitern Ihrer Geschäftsidee verantwortlich. Und vor allem anderen: Unterstellen Sie nicht, daß das Internet die Demokratie zerstört.
weiter geht's in der Schrottpresse.