Creeper Move Cards (5. Update: ein offener Brief)

Mittwoch, 2.1.2013, 18:20 > daMax

Update: bitte lest erst das 5. Update ganz unten. Inzwischen tut es mir leid, diese Karten hier so dick angepriesen zu haben. Die haben nur schlechte Vibes in den Kongress getragen. Update Ende.

Um auf alltäglichen Sexismus und Intoleranz aufmerksam zu machen haben sich findige Haecksen die Creeper Move Cards ausgedacht. Mit ihnen könnt ihr jemandem mitteilen, dass er/sie sich gerade grenzwertig bzw. völlig daneben benommen hat. Oder auch, dass die Person etwas Nettes getan hat. Sie wurden unter anderem auf dem diesjährigen 29c3 in Umlauf gebracht, weil sich Belästigungen und Übergriffe auf Veranstaltungen im Nerd/Geek/Hacker-Umfeld offenbar häuften. Zitat:

Belästigung auf Konferenzen sind gerade auf den häufig männlich dominierten Events in Geek- und Nerd-Kreisen leider eine traurige Häufigkeit. Von nahezu jedem Event gibt es Berichte von sexuellen Übergriffen. Momentan übernehmen daher mehr und mehr Veranstaltungen Harrassment Policies.

Als zusätzliche Maßnahme und präsentes Zeichen dieser Policies sind so genannte “Creeper Move” Karten entstanden, die erstmals 2011 auf der DEFCON verteilt wurden. Es gibt sie in drei Varianten und können von Konferenzteilnehmer*innen eingesetzt werden, um Andere auf belästigendes oder übergriffiges Verhalten hinzuweisen, ohne eine Diskussion starten zu müssen.

Den letzten Halbsatz wage ich zu bezweifeln, aber es kann ja auch gewollt sein, mit dem Zücken einer solchen Karte eine Diskussion zu starten. Bedauerlicherweise ist der griffige Ausdruck "Creeper Move" im Deutschen mit "Belästigung" bzw. "Grenzüberschreitung" nicht gerade cool übersetzt. Vielleicht fällt euch ja was besseres ein? "Assi Anmache" oder so was. Wenn ihr das Bild da oben anklickt, bekommt ihr übrigens eine etwas besser lesbare Version zu sehen.

Wie nötig solche Karten sind, zeigte anscheinend das diesjährige Hacker Jeopardy:

Der Moderator der Quizshow ließ in Halle 1, vor Hunderten von Kongressteilnehmer_innen, kaum eine Gelegenheit aus, sich darüber lustig zu machen. Die empörten Zurufe aus dem Publikum überging er, die rote Karte, die ihm mitten in der Veranstaltung überreicht bekam, sah er als Anlass zu weiteren Heiterkeiten.

Ein eigentlich gut gemeintes Mittel, das es erlauben könnte, niedrigschwellig auf diskriminierendes Verhalten aufmerksam zu machen, ist somit für das genaue Gegenteil verwendet worden: Sich lustig machen über Artikulation von Diskriminierungserfahrungen – heißt Betroffene zum Schweigen zu bringen und Angriffen mehr Boden zu bieten.

Ich habe das Video noch nicht gesehen, werde das aber noch nachholen um zu sehen, was an den Vorwürfen dran ist.

Die Karten können für Veranstaltungen bestellt werden: wenn ihr also demnächst eine solche plant, meldet euch bei Creeper Move Cards.

PS: auf Heise gibt es übrigens eine sehr lesenswerte Zusammenfassung des 29c3 zu lesen.

PPS: Schreibt man "im Deutschen" eigentlich groß oder klein?

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Update: fefe schreibt was Laaaaaaaaaaaaaaaanges dazu (get ready for a real shitstorm, Ladies and Gentlemen ;)) und meine geschätzten Kommentator*inn*en einigen sich langsam auf "Gut gemeint aber schlecht gemacht". Das kann man so stehen lassen, denke ich.
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2. Update (3.1.2013, 1:01h): äh... jetzt kam ein langes Skype dazwischen, deshalb konnte ich den Text von fefe erst jetzt lesen. Als jemand, der uns täglich das Wort "kognitive Dissonanz" unter die Nase reibt, argumentiert er leider ziemlich merkbefreit:

Ein anderes Beispiel war, dass jemand aus den Creepercards einen Frauenkörper gelegt hatte. Erinnern wir uns kurz daran, was ein Hacker ist. Ein Hacker ist jemand, der kreativ mit Dingen umgeht, die andere nur wie vorgesehen benutzen würden. Hier hat jemand Creepercards gesehen und ist damit kreativ umgegangen. Genau diese Art von Menschen wollen wir haben! Die aus an sich negativen Dingen Kunst machen können!

Hm... mehr Ausrufezeichen bedeuten nicht mehr Recht-Haben. Allerdings macht er einen Punkt der sitzt:

Diese Karten sind kein Kommunikationsmittel, sondern ein Kommunikationsbeendigungsmittel. Das ist kein Kommunizieren, das ist ein Pranger. Auf den roten Karten stand sinngemäß drauf, man solle froh sein, dass man nicht direkt einen in die Fresse gekriegt habe, und stattdessen nur diese Karte hier überreicht bekommen hat. Wer körperliche Gewalt androht, hat sich in jeder auf Kommunikation aufbauenden Kultur direkt vollständig und nachhaltig selbst disqualifiziert.

Ich denke, die Karten haben das gleiche Problem wie damals die Fähnchenziehanhänger (hier und hier): ein klar erkennbarer just cause (Hilfe, mir fällt der deutsche Begriff dazu nicht mehr ein) wird dank Gewaltandrohung ad absurdum geführt (mit Latein zu prahlen geht immer). Gut gemeint, schlecht gemacht.

PS: Nein, ich war nicht auf dem 29C3 dabei und weiß nicht, ob es wirklich ein solches Problem gab und ja, ich habe auch selbst schon das Gefühl gehabt, die Kampfemanzen (huch? hab ich das gesagt?) würden es manchmal mit dem Krieg übertreiben aber hey weißte, manchmal steckt man halt nicht drin und manche Leute sind schneller von was angepisst als andere und manchmal muss man das halt auch einfach akzeptieren und darüber miteinander reden lernen weil wir uns sonst irgendwann ja doch nur wieder alle die Köppe einhauen und das wollen wir doch nicht wirklich. Oder?

3. Update (1:38h): Also, wenn fefe Recht hat und alles schon hier anfing, sage ich einfach gar nix mehr dazu außer: HAM HIER DENN ALLE EIN RAD AB?!?11!!1!!!!einszwölf! Kommt mal alle wieder runter. Mann, echt ey. Nix kann man hier sagen ohne dass alle durchdrehen.

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4. Update: Holger spricht weise Worte gelassen aus:

Was mir auch “bemerkenswert” auffiel, waren die “Creepy-cards”. Keine der mir bekannten Personen auf dem Congress hat sich in der Vergangenheit des Congresses oder dem diesjährigen in die Richtung “das ist sexistisch, rassistisch, persönlich diffamierend” geäußert. Vielmehr habe ich aus meinem Bekanntenkreis eher das Feedback erhalten, dass “Hacker-Events” eher angenehm sind, weil es dort diesen Problemkreis eben nicht gibt. Aber sei es, wie es ist. Gehört vielleicht auch mal dazu.

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5. Update: ein offener Brief einer Asperger-Autistim zu diesem Thema, den jede/r mal gelesen haben sollte.

Nie, nicht ein einziges Mal wurde ich mit verächtlichen Blicken bedacht, niemand überschritt meine Grenzen, niemand machte sich über mich lustig. Keiner der Besucher reagierte verächtlich oder beleidigte mich. Dies war für mich eine ganz neue Erfahrung. Draußen auf der Strasse sieht das anders aus. Ich war mein ganzes bisheriges Leben immer wieder Opfer von Anfeindungen der übelsten Art [...] Die Art und Weise wie diese Karten von anderen Frauen eingesetzt wurden hat mich erschrocken und zutiefst erschüttert. Ich weiß nicht, was diese Frauen für ein Problem haben. Ich weiß nicht ob denen klar ist, was die mit ihrem mimimi Gehabe für einen Schaden anrichten gegenüber Frauen die mit echtem Sexismus und Missbrauch zu tun haben. Wer soll denn eine Frau noch ernst nehmen, die über Missbrauch klagt, wenn solche Schlagworte derart inflationär gehandhabt werden.

Damit ist für mich die Diskussion beendet.