Strecke: Bielefeld-Quelle -> Köln-Niehl
Ich stehe in Quelle und warte auf die Regionalbahn. Das Wetter verspricht einen Bombensonnenuntergang. Zehn Minuten nach der geplanten Abfahrtszeit werde ich hippelig und drücke auf einen mit "INFO" beschrifteten Knopf.
SIE WERDEN MIT EINEM SERVICEMITARBEITER DER LEITSTELLE VERBUNDEN. WIR BITTEN UM ETWAS GEDULD!
YOU WILL BE CONNECTED TO A SERVICE MEMBER. PLEASE STAND BY!
brüllt es mir entgegen. Die anderen Wartenden sehen mich irritiert an. Es tutet. Laut und lange. Kurz nachdem ich die Hoffnung auf Information aufgegeben hatte, geht jemand ran.
"Dienstleitstelle Bielefeld, guten Tag."
"Hallo. Wir stehen hier in Quelle und warten auf die Bahn, die sich aber nicht blicken lässt. Wissen Sie vielleicht, wo die steckt?"
"Tja, tut mir leid, aber die NWB sagt uns auch nicht, was da los ist. Laut deren Aussage ist der Zug pünktlich."
Soso. Nach kurzem Zögern beschließe ich, statt der Bahn ein Taxi zu nehmen. Auf keinen Fall möchte ich den ICE in Bielefeld verpassen, denn ICEs zu verpassen kann zu verlängerten Fahrzeiten führen. Für 15 Euro Aufpreis komme ich dann zeitgleich mit der insgesamt 20 Minuten verspäteten NWB75568 am Bielefelder Hauptbahnhof an.
Am Bahnsteig freudiges Warten auf den ICE. Jetzt wird alles gut.
"Sehr geehrte usw., aufgrund einer Streckensperrung bei Rheda-Wiedenbrück fällt der ICE 955 aus. Wir melden uns, sobald wir weitere Informationen haben."
Im Geiste sage ich 50x hintereinander Rheda-Wiedenbrück. Es meldet sich niemand. Die Bahn-App behauptet immer noch steif und fest, alles sei in Ordnung. Kein Wort von nicht fahrenden Zügen. In der Bahnhofshalle drängeln sich Menschenmassen, die fassungslos auf die Anzeigetafel blicken.
Zug fällt aus.
Zug fällt aus.
Zug fällt aus.
Zug fällt aus.
Nächste Anlaufstelle Servicecenter. Bitte Nummer ziehen. Ich ziehe die 1333, die Anzeige steht bei 1298. Eine halbe Stunde später: Ding-Dong, 1333. Der recht entspannte Tüp hinterm Tresen meint, zur Zeit fährt überhaupt kein Zug mehr Richtung Köln, die Oberleitung sei gerissen, ich könne aber den "ziemlichen Umweg" über Osnabrück nehmen. Geplante Ankunft: 21:50h. Statt 19.10h. Ich beglückwünsche mich zu der Entscheidung, noch ein paar EBooks auf meinen Reader kopiert zu haben, bevor ich die heutige Odyssee antrat.
Also weiter mit RB61 (WFB90510) Richtung Osnabrück. Kurz nach Herford (wo wir einen 15-minütigen Stopp einlegen) geht es sagenhafte 5 Minuten lang weiter, bis wir auf der grünen Heide zum Stehen kommen.
"Sehr geehrte usw., aufgrund von Bauarbeiten im Bahnhof von [wasweissich] verzögert sich unsere Weiterfahrt um ca. 15 Minuten. Grund dafür sind 2 ICE, die wir passieren lassen müssen."
'Wie schön wäre es jetzt, in einem ICE zu sitzen', denke ich mir. 'Bezahlt hätte ich ja dafür.' Ich beginne, diesen Artikel zu schreiben. 2 Hippies packen eine Klampfe aus und legen los.
"Ach wääääär' ich doooooch ein reiiiiiiicher Maaaaaann..."
Tja, Augen auf bei der Berufswahl. Ich packe meinen MP3-Player aus, verstöpsele meine Gehörgänge und wähle Iron Maiden.
"Sometimes things ain't what they seem
No brave new world, no brave new world
No brave new world, no brave new world"
Die Wartezeit kommt mir deutlich länger vor als 15 Minuten. Als sich der Zug irgendwann wieder in Bewegung setzt, fängt der halbe Wagen an zu klatschen. Mir ist auch nach Klatschen zumute. Am Liebsten einen der Hippies. Oder die Göre mir gegenüber, die mir trotz freundlicherer und weniger freundlicherer Ansagen meinerseits ständig gegens Schienbein tritt.
Oder aber auch die Servicekraft, die mir auf Nachfrage stolz mitteilt, dass wir inzwischen eine komplette halbe Stunde Verspätung akkumuliert haben. Womit sich der Anschluss in Osnabrück also auch erledigt hätte. Neue voraussichtliche Ankunftszeit: 22:46h
Langsam machen sich erste Zweifel breit, ob ich den Dom heute überhaupt noch zu Gesicht bekomme.
Ich warte also eine knappe Stunde in Osnabrück. Pünktlich um 20.37h fährt der IC2307 Richtung Koblenz ein. Wir fahren von Funkloch zu Funkloch. Etwa eine Stunde später bleibt der IC2307 auf freier Strecke stehen. Eine Viertelstunde lang. Als er sich wieder in Bewegung setzt, ertönt eine näselnde Durchsage:
"Sehr geehrte usw., aufgrund einer technischen Unvorhersehbarkeit... Verzögerung... Dortmund... Anschlussmöglichkeiten..."
Schräg gegenüber macht es laut vernehmlich *PLONK*. Ein Kind fängt an zu greinen. Ich browse in meinem MP3-Player zu Helloween.
" 'Cos we all live --- in Fuuutuuure World"
Ich meditiere kurz über die Zukunft, das 21. Jahrhundert und die haltlosen Versprechungen der Bahnfahrpläne, konzentriere mich dann aber doch wieder auf mein Buch.
Dortmund. Essen. Düsseldorf. Köln. Yay. Es ist 22:59h. Jetzt nur noch nach Hause. Die U-Bahn kommt schon in 14 Minuten. Yay. Vielleicht schaffe ich es sogar heute noch ins Bett.
Fahrzeit von Haustür zu Haustür: 6,5h. Neuer Streckenrekord.
Täik kehr änd gudbai.
(Bild: Markus Pier [CC BY-NC-SA])