Glotztipp: Was darf man heute noch sagen? Wenn Sprache und Symbole polarisieren. (update)
Donnerstag, 9.6.2022, 07:06 > daMaxIch bin ja einer von diesen Menschen, die noch regelmäßig Fernsehen gucken. Der Schwabe in mir zetert schließlich lautstark "Des isch zahlt, des wird jezz au glotzt!" Gestern Abend lief diese leider etwas dämlich betitelte Sendung, die bei mir nicht nur bekanntes Wissen reaktivierte, sondern mir tatsächlich auch neue Erkenntnisse bescherte. Aus der Beschreibung in der Mediathek:
Immer mehr Menschen sind verunsichert, wenn es um das richtige Verwenden von Begriffen oder Redewendungen geht. Lange gewohnte Wörter oder Begriffe gelten heute unter Umständen als rassistisch oder diskriminierend. Wird die deutsche Sprache durch Abkürzungen wie das N- oder Z-Wort verhunzt oder endlich gerechter? Für die einen ist es Unsinn, für andere der überfällige Schritt in eine diskriminierungsfreiere Zukunft. "betrifft" begibt sich in sprachlich vermintes Gelände. Eine Spurensuche durch ein verunsichertes Land - mit eingebautem Anti-Rassismus-Kompass.
Es geht um Möhringen, Mohrenapotheken, ein Restaurant "Zum Mohrenkopf", alte weiße Männer und junge schwarze Frauen und ich würde sagen, ich habe so manche Dreiviertelstunde schon mit schlechterem Fernsehen verbracht
Links:
PS: Hey Mediathek, wieso ist in deinem eingebetteten IFrame immer so ein hässlicher blauer Balken, hm? Ist das so ein CI Ding? Ziemlich wack, wenn ich mir den Ausrutscher in Jugendslang mal erlauben darf.
PPS: das Video da oben funktioniert nur, wenn ihr "aus Deutschland" kommt. Mit "ausländischen" IPs (z.B. über ein VPN oder direkt aus Amerika) bekommt ihr da oben leider nichts zu sehen. Der Mediathekviewweb-Link funktioniert allerdings ziemlich zuverlässig
Update: das Möhringer Stadtbezirkswappen wurde übrigens inzwischen dank einer Bürgerbeteiligung geändert und hat jetzt keine rassistische Kackscheiße mehr drin. Sehr zum Leidwesen dreier alter weißer Männer auf deren Website die neue Zeit folgerichtig auch einfach geleugnet wird.
Ein sehenswerter Beitrag war das auf jeden Fall. Viele Begriffe sind sprichwörtlich verbrannt und im Sprachgebrauch und Alltag nicht mehr tragbar.
Bei Büchern wie die von Preußler würde ich dagegen ungern den vom damaligen Zeitgeist geprägten Text verändern, sondern stattdessen das Problematische der Worte den Eltern in einem Zusatztext so mitgeben, dass sie es den Kindern verständlich sagen können oder die Kinder beim Lesen selbst altersgerecht darauf hingewiesen werden.
Vieles ist uns selbst oft nicht als Alltagsrassismus bewußt, was wie hier die schwarzen Frauen ständig aufstoßen lässt, weil uns die Perspektive des Betroffenen fehlt. Wenn ich dagegen mehrmals am Tag nur wegen meines Äußeren einen blöden Spruch an die Backe bekomme und muss mir dann noch so ein Bild in einem Wappen anschauen, wird die Haut schnell dünn.
Beim Möhringer Wappen scheint es ja so, dass der Bezug zum Ortsgründer dabei gar nicht (mehr) gegeben war oder es jemand witzig fand, dessen Namen just zur kolonialen Blütezeit für das Bild der schwarzen Frau zu zweckentfremden. Dieser Teil kam m.E. nicht so wirklich zur Sprache, wie dieser Teil in das Wappen gelangt ist. Aber so in etwa kann ich mir das vorstellen.
Das der AfD-Politiker dabei rein provokativ so auftritt, ist klar. Gezielte Tabubrüche sind ein Teil dieser Partei. Das ein "neutrales" Gericht dem noch statt gibt, hat dagegen ein Geschmäckle ganz ähnlich dem u.a. auch bei S.Rose erwähnten Zwickauer Revierleiter, der als Polizist mit seinen Informationen dazu beigetragen hat, ein interkulturelles Fest zugunsten eines Querdenker-Aufzugs abzusäbeln. Da wundert es dann schon wieder beinahe nicht mehr, dass dort und in Chemnitz 3 einschlägig bekannte Rechtsextremisten so lange untertauchen konnten.
Die Vorurteile speziell gegenüber Schwarzen und ihren afrikanischen Vorfahren ziehen sich dabei ähnlich durch die Zeiten wie die gegen die Juden. Schon zu Zeiten der Ägypter oder später auch in der Blüte des Islam galten Nubier oder Schwarzafrikaner als eine Art Freiwild, die als Primitive und niedrigere Menschen in erster Linie nur als Sklaven taugen. Das gipfelte dann im Kolonialismus, bei dem faktisch nur die Arbeitskraft zum billigsten Preis zählte und diese Menschen quasi ein Gegenstand waren, mit dem nach Belieben umgegangen werden kann. "Ersatz" in Form neuer Sklaven war billiger als der Erhalt dieser "Arbeitskräfte".
Dieses Denken niederer Rassen ist nicht nur in den USA bis heute nicht überwunden und wenn es nach solchen Vereinen wie Ku-Klux-Klan u.ä. ginge, hätten Schwarze bis heute keine Rechte. Hintangestellt sind sie bis heute. Das kulminiert ja immer noch viel zu oft in Gewalt, die speziell beim Ausüben von offizieller Seite meist eher gering bis gar nicht geahndet wird - auch das nicht nur in den USA.
Indirekt ist diese Sichtweise von verschiedenen und dabei unter- und überlegenen Rassen Vorläufer und Grundgerüst des Faschismus, der im Verbund mit Nationalismus in Deutschland dann den ebenfalls jahrhundertealten europäischen und in erster Linie aus christlichen Wurzeln geprägten Antisemitismus zu diesem vergorenen Hirnbrei werden ließ, der vor allem die Juden und daneben auch alles Andere wie Sinti, Roma, Schwule, Kommunisten, Behinderte usw. entmenschlichte, die nicht dem überlegenen Herrenmenschen und deren Ideologie entsprachen, und damit zu einem "Ding" werden ließen bis zur Konsequenz, dass selbst über deren Leben und Sterben willkürlich und straffrei entschieden werden konnte. Das endete dann im industriellen Morden dieser Verbrecher, deren Wurzeln wie o.a. im Kolonialismus und Nationalismus zu suchen sind.
Und wie auch von einer Protagonistin dieses Beitrags sinngemäß erwähnt wurde, ist verbale oder wie hier im Wappen bildliche Gewalt und das damit verbundene Erniedrigen immer der Anfang.
Wie so oft sei mir bitte das tl;dr verziehen;-)