Mutter sieht Slipknot
Dienstag, 10.12.2024, 07:15 > daMaxMit React-Videos geht es euch ja vielleicht wie mir: ich halte die meisten für billiges Aufmerksamkeitsgeheische mit anderer Leute Ruhm und Können. Modernes Parasitentum zumeist und dabei (meiner Meinung nach) auch ziemlich verlogen, weil ich das meiste für reines Schmierentheater halte: Niemand kann dauerhaft so überrascht von Musikvideos sein. Und trotzdem gucke ich mir hin und wieder welche an, wenn mich Künstler|innen besonders interessieren, einfach um mal zu sehen, was andere Menschen dazu zu sagen haben.
Gestern Nacht stolperte ich über den Kanal einer Therapeutin, die sich (hauptsächlich) über Slipknot-Videos hermacht, sich dabei aber leider größtenteils nur gerne selber reden hört und am tatsächlichen Inhalt der Songs und Videos oft grandios vorbei analysiert. Denn gerade der Text und das Video zu "The Devil In I" haben - so grob und brutal sie auf den ersten Blick erscheinen mögen - durchaus jede Menge Psychoanalysepotential, wenn man ein bisschen Hintergrundwissen hat: Zum einen hatte die Band eine lange Trauerphase um ihren verstorbenen Bassisten Paul Gray durchlaufen, was ja generell eine längere Story für sich ist (daher der Titel des Albums ".5: The Gray Chapter"). Zum anderen hatten sie gerade ihren Drummer gefeuert, da waren sicher ebenfalls eine Menge Konflikte beteiligt. Zum dritten sollte man wissen, dass Slipknot ja nie dieselben Masken tragen und dass in diesem Video die "alten" Verkörperungen umgebracht werden, wohingegen die "neuen" Verkörperungen den Song spielen. Zum vierten werden alle Bandmitglieder von ihren größten Ängsten umgebracht (einer hat Angst vor Vögeln, ein anderer vor Hunden, zwei vor Sprengstoff, der DJ verliert seine Finger usw.). Zum fünften kann es durchaus gesund sein, sich mit der dunklen Seite der eigenen Psyche zu beschäftigen anstatt sie zu verdrängen. Zum sechsten ist der Text halt auch echt deep und so weiter und so weiter. Außerdem sollte man wenigstens akzeptieren können, dass Typen wie Slipknot & Co. ihre Instrumente meisterhaft beherrschen, auch wenn einem die Musik vielleicht nicht gefällt.
Natürlich kann man aber auch mit dem Brett vorm Kopf durch die Welt taumeln wie Mama hier im Video. Ich konnte nicht anders, ich musste einfach lachen. Wie vorwurfsvoll sie ihre Tochter anguckt!
PS: kennt ihr das Video zu Vermilion Pt. 1? Auch darüber könnte man ganze Aufsätze verfassen, finde ich. Alleine die Szene, wo sie sich eine Slipknot-Maske aufsetzt, Slipknot dagegen ihre eigenen Gesichter über die Masken ziehen. Super.
PPS: OMG, das ist alles schon 10 bzw. 15 Jahre alt. How time flies...
Wobei ich die Reactionvideos beim Daily Doug schon sehr gelungen finde. Wenn ausgebildete Musikprofis komplexe Stücke analysieren, dann ist das wirklich ein Beitrag zur Bildung.
@lol: yup.
Neben guten Analysevideos, also solchen bei denen ich was lerne, schaue ich ab und an auch stinknormale reactions, weil diese einem etwas geben können, was man sonst nicht (mehr) bekommen kann: das excitement etwas zum ersten Mal zu sehen/erleben - quasi mit/durch die Augen anderer...
@Stony: ich weiß, was du meinst, aber ich kann trotzdem nicht glauben, dass man jahrelang so überrascht von Musik sein kann. Maybe it's just me, aber mir kommt vieles davon verlogen vor. Vergiss nie, dass die Leute diese Kanäle aus monetären Überlegungen heraus betreiben und nicht (nur), weil sie so wenig Musik kennen