Explodierende Telekommunikationsgeräte als Waffe?! (updates)
Dienstag, 17.9.2024, 22:22 > daMaxBei einem mutmaßlich koordinierten Angriff im Libanon sind nach Regierungsangaben neun Menschen durch explodierende Telekommunikationsgeräte getötet worden. 2.750 Menschen wurden demnach verletzt, davon 200 schwer. Die sogenannten Pager, die von der Hisbollah zur Kommunikation genutzt werden, waren fast zeitgleich explodiert, hieß es aus dem Umfeld der Miliz.
Angeblich steckt Israel dahinter. Wenn das wirklich so wahr ist, stellen sich so viele Fragen: Wie kriegt man einen Pager ferngezündet? Update: Offenbar hat der Mossad eine Lieferung Pager abgefangen und mit Sprengstoff bestückt. Wie viele Kollateraltote nimmt Israel billigend in Kauf? Ist sowas auch nur entfernt mit den Völkerrecht vereinbar? (Spoiler: nope)
Krasse Zeiten, in denen wir leben.
Update: was zur Hölle? Nach den Pagern sind heute auch noch Walkie Talkies explodiert! und wieder im Libanon. Ich persönlich finde, das ist eine neue Dimension eines Krieges, der niemals öffentlich erklärt wurde. Meine Fresse. Was explodiert als nächstes? Tamagotchis? Spielekonsolen? Headsets?
Update: wenig überraschend führt diese Aktion zu weiterer Eskalation.
Update: Hinsichtlich der Frage, ob das völkerrechtswidrig war oder nicht, sind die Völkerrechtler wohl geteilter Meinung
Update: Tagesschau über die Spur der explosiven Pager
Update: hinter des SPIEGELs Paywall argumentiert ein Völkerrechtler, dass die Aktion wohl nicht rechtens war.
Und warum bestellt die Hisbollah für ihre Mitglieder Pager mit einer Sprengladung?
@Andreas Moser: war ja wohl nicht nur die Hisbollah. Der iranische Botschafter ist auch unter den Opfern.
Moin Max
Mit irgendwelchen Schuldzuweisungen nur wegen der Nachricht wäre ich hier sehr vorsichtig.
Es ist ein Krieg und der geht immer auch über die (sozialen) Medien. Sobald die Dienste mit drin hängen, kann man sowieso nichts mehr glauben. Man könnte auch umgekehrt argumentieren und sagen, wenn damit das Ansehen Israels beschädigt werden kann und die "Kämpfer" für Racheaktionen aufgestachelt werden sollen, hat die iranische Seite und die Terroristen von Hisbollah und Hamas sicher auch wenig Schmerzen damit, ihre eigenen Leute zum Märtyrer zu machen. Das denen Menschenleben nichts wert sind, sollte inzwischen auch jeder kapiert haben. "Glauben" kann man da zuerst mal gar nichts.
So btw. bitte ich Dich noch, daran zu denken, wer und wie dieser Krieg angefangen hat! Die jetzige iraelische Politik Netanjahus und seiner Partei ist sicher nicht das, was viele Israelis wollen und befürworten und auch das Verhalten Israels in diesem Krieg ist partiell nicht in Ordnung. Das ist aber in jedem Krieg so und gilt dabei immer auch für beide Seiten.
Ich erinnere aber gerne daran, dass die Schlächter der Hamas in erster Linie in die Kibbuze geganen sind, sich dort in viehischster Weise an Kindern, Frauen und Alten vergangen haben und das noch sehr wirksam auf ihren Kanälen verbreitet haben. Falls Du noch nicht gefrühstückt hast, kannst Du Dir die Bilder gerne anschauen und dann nochmal etwas von Kollateraltoten sagen.
Die meisten der damaligen Geiseln dürften die Folter bereits in den ersten Tagen nicht überlebt haben, wenn sie nicht gleich abgeschlachtet wurden. So btw. haben die Kibbuzim in ihrer Lebensweise kaum Gemeinsamkeiten mit den Siedlern und anderen Anhängern Netanjahus. Sie sind also so oder so die falschen Opfer, waren aber für das feige Gesindel vermutlich die Wehrlosesten.
Und für dieses ganze Gesockse (damit meine ich nicht die gesamte arabischstämmige Bevölkerung) gibt es nur ein Ziel, nämlich Israel von der Landkarte zu tilgen.
Ein paar Denkanstöße dazu:
https://www.lpb-bw.de/nahostkonflikt
https://www.ufuq.de/aktuelles/der-nahostkonflikt-im-unterricht-50-handlungsmoeglichkeiten-fuer-lehrerinnen/
its terrorism, plain and simple.
@Siewurdengelesen: naja, was heißt Schuldzuweisungen? Der Mossad wirbt ja jetzt fast schon offen damit, das getan zu haben. Ich finde es halt einfach nur noch krass, was da gerade passiert. Und ja, die Hamas hat sicher "angefangen", bzw. eigentlich ist das Thema ja noch viel viel älter, ne? Ich habe auch viel zu wenig Ahnung von der ganzen Thematik, um da irgendeinen sinnvollen Kommentar dazu abzugeben, ich fand einfach nur die Meldung von tausenden explodierender Pager einfach zu krass.
"Man könnte auch umgekehrt argumentieren und sagen, wenn damit das Ansehen Israels beschädigt werden kann und die "Kämpfer" für Racheaktionen aufgestachelt werden sollen, hat die iranische Seite und die Terroristen von Hisbollah und Hamas sicher auch wenig Schmerzen damit, ihre eigenen Leute zum Märtyrer zu machen."
Dem bösen Feind traut man so etwas natürlich gerne zu. Auf welcher empirischen Grundlage eigentlich?
Der Wertewesten würde so etwas natürlich nie machen.
und explodierende walkie-talkies als zugabe 24h später;
https://www.theguardian.com/world/2024/sep/18/explosions-linked-to-walkie-talkies-deaths-lebanon
@daMax:
Moin Max
Zitat aus dem von Dir verlinkten Text:
"Wie und wo die Pager manipuliert wurden, ist noch weitgehend Gegenstand von Spekulationen. Bislang hat niemand den Angriff für sich reklamiert."
Und solange das so ist, sollte sich da auch niemand festlegen, so wahrscheinlich es auch sein mag, dass es die israelische Seite war.
Was mir dabei trotzdem immer so ein wenig auf den Zeiger geht, ist dabei die Sache, dass bei Israel sofort und immer alles "gewertet" wird und dann ist man gleich mit Völkerrecht, Genozid und was weiss ich dabei, während die Taten der Gegenseite irgendwie als die armen Unterdrückten so mit einem scheinbaren Schulterzucken hingenommen werden.
Vielleicht sollte auch bedacht werden, dass diese Hisbollah diejenigen waren, welche mit ihren Raketenagriffen, bei dem übrigens auch Zivilisten betroffen sein können als "Kollateralschaden", die jüngsten Friedensverhandlungen zwischen Israel und Hamas zum Platzen gebracht haben. Die ballern übrigens schon die ganze Zeit so ein wenig herum. Sowohl ein Hamas als auch eine Hisbollah wollen keinen Frieden, bei dem der Staat Israel unberührt in seiner Existenz bleibt. Ist ganz sicher auch etwas völkerrechtswidrig und irgendwie war der Aufschrei da nicht da.
Die Argumentationslinie ist dabei dieselbe wie bei den anglo-amerikanischen Bombenangriffen oder den Übergriffen der Roten Armee und abgeschwächt der Alliierten im zweiten Weltkrieg. Klar sind das auch alles Kriegsverbrechen, aber ohne das Vorher hätte es die nie gegeben und die Nummer wird bis heute gefahren, um die deutschen Verbrechen zu relativieren. Im Krieg wird früher oder später halt jede Seite zum Verbrecher.
@Detlef
Warum habe ich das im Konjunktiv geschrieben und wo steht daher, dass es nicht von israelischer Seite aus begangen wurde? Was ich dabei wem zutraue, ist dabei völlig irrelevant.
Die Sicht der Jüdischen Allgemeinen dazu.
come on! die spatzen pfeifens von den dächern und die israelische seite dementiert nicht.
und sone pager sind halt auch was anderes als raketen, nämlich booby-traps, die fast ein halbes jahr im umlauf waren und von sonstwem benutzt wurden. ne, auch im scaling ist das ne neue qualität und eskalierend.
und? deswegen sollte man scheisse nicht als solche benennen?
@DasKleineTeilchen:
"und? deswegen sollte man scheisse nicht als solche benennen?"
Ne - aber wenn schon, dann auch nicht einseitig. Ich mag mir z.B. nicht ausmalen, wie die Mitglieder der Terrormilizen in Israel umgehen würden, wenn sie könnten, und wenn schon, dann war das eine relativ klare Machtdemonstration, dass auch im vermeintlichen Hinterland niemand sicher ist. Wobei die Hamas das ja bereits mehr als deutlich gezeigt hat, wie sie vorgeht. Mit Netanjahu und seinem Umfeld haben sie derzeit halt auch den "richtigen" Gegenspieler. Die meisten Israelis dürften die Aktion auch nicht sonderlich prall finden, weil der Krieg dadurch weiter eskaliert. Aber die Angriffe finden sie vermutlich ebensowenig gut.
Wenn die Dienste die Pfoten mit drin haben, wird es sowieso immer dreckig. Und genauso, wie es dem Mossad wumpe sein dürfte, wenn Unbeteiligte betroffen sind, interessiert es die andere Seite nicht, wenn es bei dem dauerhaften und mehr oder weniger ungezielten Raketenbeschuss Unschuldige trifft oder wie bei den Verstecken der Hamas unter Schulen und Krankenhäusern die eigenen Menschen. Da schenken sich beide Seiten nichts mehr.
Und wie gesagt ist es "auffällig", dass bei israelischen Verbrechen alles steil geht, umgekehrt aber eher weniger...
@Siewurdengelesen:
Ich wundere mich halt, wie man sich eine so krass unrealistische These ausdenken kann.
"Und wie gesagt ist es "auffällig", dass bei israelischen Verbrechen alles steil geht, umgekehrt aber eher weniger..."
Das mag an unterschiedlichen Wahrnehmungen liegen, könnte aber auch an den unterschiedlichen Ausmaßen liegen.
Ab dem wievielten Vielfachen der Zahl der Toten wären denn für Dich beide Seiten mal 'quitt'?
Und wenn Du schon mit 'viehisch' dabei bist, kannst Du Dir vielleicht auch mal den Artikel "The Israeli army's approval of free-for-all violence in Gaza" von Oren Ziv durchlesen.
@Siewurdengelesen: no offense, aber du schrammelst hier grade hart an der whataboutism-grenze...
@Detlef und DKT
Moin
Ist doch alles klar und dieser Ansatz ist meinerseits provokant, weil unwahrscheinlich. Das war mir klar, denn so funktioniert nun einmal VT.
Das Gewalt Gegengewalt erzeugt, ist auch kein neuer Punkt und das dabei diejenigen, die das "im Namen einer Organisation" ausüben, sich dann dabei auf Gehorsam etcpp. berufen, um sich auszutoben, ist auch nicht neu. Auch da geht es nicht darum, irgendwie "quitt" zu sein, sondern immer noch das Ursache-Wirkungsprinzip im Auge zu behalten, deshalb auch der Verweis auf den 2.Weltkrieg, wobei sich da auch andere Beispiele finden ließen. Da liegt dann der von DKT kritisierte whataboutism vermutlich auch beiden Seiten inne. In Kriegen ist es immer nur eine Frage der Zeit, bis beide Seiten Recht brechen, weil Krieg an sich schon Unrecht ist.
Ob dabei die Aussage meinerseits dabei nur im Wahrnehmen liegt, was die Kritik am israelischen Verhalten und dem von palästinensisch-arabischer Seite beitrifft, wage ich doch zu bezweifeln. Man schaue sich dabei nur die Berichterstattung darüber an und da sind die O-Töne doch sehr eindeutig kontra Israel und pro Palästinenser.
Das sich Israel jetzt mit dieser nach wie vor zwar am wahrscheinlichsten, aber eben nach wie vor nicht bestätigten oder erwiesenen Form von freidrehendem Staatsterrorismus einen Bärendienst erwiesen haben dürfte, der einem Ziel Frieden sicher nicht dient, ist logisch und wer auch immer das letztlich durchgeführt hat, die Mehrheit der Israelis haben sie dafür sicher nicht.
Deshalb ist es auch immer so etwas schwierig, wenn da immer gleich Israel als Ganzes beniemt wird, anstatt zumindest auf Mossad, IDF und ggf. das Umfeld Netanjahus und seines Umfeld zu fokussieren.
@Siewurdengelesen: thnx. much appreciated.
https://blog.fefe.de/?ts=981250c7
Gut, dass du den Link zur differenzierten völkerrechtlichten Einschätzung aufgenommen hast.
Denn die apodiktische Bewertung als völkerrechtswidrig oder gar als Terrorismus durch Nichtvölkerrechtler ist wirklich ein bisschen vorschnell.
Mich wundert immer, wie einfach sich Nichtjuristen das Völkerrecht vorstellen. Ich hatte Völkerrecht als Schwerpunkt im Ersten Juristischen Staatsexamen, habe das also durchaus ernsthaft studiert. Und selbst ich muss bei den allermeisten Fragen aus dem Völkerrecht erst einmal in die Bibliothek gehen, ein paar Tage lang Bücher, Abkommen und Gerichtsentscheidungen wälzen, bevor ich überhaupt anfangen kann, mir langsam eine Meinung zu bilden.
@Andreas Moser: ja, ich versuche ja schon hin und wieder, meine vorschnellen Urteile mit Fakten zu unterfüttern Trotzdem finde ich die ganze Nummer echt zu hart. Ich saß gestern in einem Biergarten und beim Anblick eines dieser Piep-Rüttel-Dinger, die dir mitgegeben werden um dich zu informieren, wenn dein Essen fertig ist, ist es mir kalt den Rücken runter gelaufen. Dieser ganze Angriff hat eine zutiefst psychologische Wirkung und in meinen Augen (rein persönlich) ist das purer Terrorismus.
Ich mag mich auf die Diskussion um "aber die ham angefangen" gar nicht einlassen, denn Terrorismus mit Terrorismus zu bekämpfen ist... naja, weißte selber.
@daMax: Ich sehe mich auch darin bestätigt, so oft wie möglich ohne Handy aus dem Haus zu gehen.
Das Problem mit der Vermittlung des Völkerrechts ist, dass es oft ziemlich kontraintuitiv ist:
- Zum einen gibt es kein kategorisches Tötungsverbot.
- Es gibt nicht einmal ein kategorisches Verbot, Zivilisten zu töten. Man muss nur darauf achten, möglichst wenige Zivilisten zu töten, und die Aktion muss im Verhältnis zum angestrebten - militärischen - Ziel stehen. Wenn man also Pager, die allesamt nur an die Hisbollah ausgegeben wurden, absichtlich zur Mittagszeit zur Explosion bringt, wo die Kinder in der Schule und die Hisbollah-Leute im Hisbollah-Büro sind, dann kann das genügen. Dass das nie 100%ig funktioniert, ist eh klar, hindert aber nicht unbedingt die Völkerrechtskonformität.
- Und im Völkerrecht ist die Frage, wer angefangen hat, durchaus relevant. Denn ein Angriffskrieg wird völkerrechtlich ganz anders beurteilt als ein Verteidigungskrieg. (Siehe zB Art. 51 UN-Charta.)
Auf den Punkt gebracht: A kann nicht B angreifen und dann rufen: "Seht her, B handelt völkerrechtswidrig, weil die auf uns schießen."
Im Fall Israel gg. Hisbollah ist das alles noch mehrfach potenziert kompliziert, weil man schon darüber streiten kann, was die Hisbollah ist, ob der Libanon im Krieg ist, ob der Libanon sich die Handlungen der Hisbollah zurechnen lassen muss, u.s.w.
Ich will damit gar keine moralischen oder politischen Argumente delegitimieren oder abwürgen. Aber der schnelle Griff zu juristischen Begriffen wie "völkerrechtswidrig" oder "Völkermord" bringt gar nichts. Schließlich wissen oft die Völkerrechtsexperten bis zu einem Urteil des IGH, das Jahre nach dem Konflikt ergeht, nicht, was Sache ist. Im Völkerrecht, wo es jedes Jahr nur eine Handvoll von Urteilen gibt, kann sich halt auch nicht so schnell ein Meinungsstand herausbilden wie im Mietrecht oder im Familienrecht, wo jeden Tag Hunderte von Urteilen gefällt werden.
Und dann hat das Urteil des IGH nach Art. 59 IGH-Statut ausdrücklich keine Präjudizwirkung, d.h. der Gerichtshof kann im nächsten gleich gelagerten Fall wieder ganz anders entscheiden.
Eigentlich ist das Völkerrecht, so leid mir das als Jurist tut, näher an der Theologie. Wer sich daran halten will, hält sich daran. Und wer nicht, der nicht. Die ganzen Diskussionen und Aufsätze und Doktorarbeiten darüber machen so viel Spaß, weil jeder weiß, dass es in Wirklichkeit nie darauf ankommt. (Ich finde, das ist so eine Nische für Juristen, die Angst vor echten Fällen haben. Die spezialisieren sich dann auf Völkerrecht und streiten auf Konferenzen darüber, wem die Insel gehören würde, wenn in internationalen Gewässern ein Vulkan ausbricht und eine Insel bildet. Oder ob ein deutscher Astronaut, der in einer Raumkapsel über der Mongolei abstürzt, diplomatische Immunität hat oder dort wegen illegaler Einreise verurteilt werden kann.)
Für alle, die in dieses spaßige Rechtsgebiet einsteigen wollen:
Das Lehrbuch "Völkerrecht" von Matthias Herdegen ist gerade in der aktuellen 23. Auflage erschienen, die bereits den Ukraine- und den Gaza-Krieg rezipiert.
Das ist eines der Bücher, die auch für Einsteiger geeignet sind. Und Völkerrecht ist wirklich nicht trocken.
@Andreas Moser:
+1 und ein Danke für´s Einschätzen.