re:publica XI to daMax

Samstag, 16.4.2011, 20:43 > daMax

So. Ich sitze nach einer äußerst langen Nacht mit nur 4 Stunden Schlaf im Zug zurück in die Heimat und kann ein bisschen Revue passieren lassen. Die re:publica 11 selbst hat leider ein sehr durchwachsenes Gefühl bei mir hinterlassen. Insgesamt habe ich nicht sonderlich viel Neues erfahren, was aber auch dem Umstand geschuldet sein könnte, dass ich mich eben hauptsächlich auf Panels herumgetrieben habe, deren Themen mich interessieren und bei denen ich sowieso entsprechend informiert bin. Aber der Reihe nach.

'°*~-.,_,.-~*°' Tag 1 '°*~-.,_,.-~*°'

Nach moderatem Schlangestehen die ersehnte Eintrittskarte in die Hand gedrückt bekommen. Leider mit dem Hinweis "In die VIP Lounge kommste erst an dem Tag rin, wo du als Sprecher dran bist". Erste kleine Enttäuschung macht sich breit, hatte ich doch auf Fame und hochgeistige Gespräche im Kreise der alphabloggenden Lichtgestalten gehofft. Naja. Zum Ticket gab es einen farbigen Aufkleber und den Hinweis "Kleb den uff dit Ticket ruff, ne Anleitung steht mit bei". Diese las sich wie folgtt:

Ein geheimer Zufallsalgorithmus hat Dir eine Farbe zugewiesen. Sobald Du einmalig einen Tweet mit #rp11 plus den Hashtag Deiner Farbe (siehe Sticker) verschickst, wirst Du Teil der re:publica-Welt. Alle zukünftigen Tweets mit #rp11 lassen die Twitter-Map wachsen.

Ah ja. Twitter. Hm. Also einen @Zwangsaccount angelegt und losgetwittert. Twitter sollte sich recht bald als einzige Kommunikationsmöglichkeit herausstellen, da die Funkzelle(n) hoffnungslos überlastet war(en) und ich auf Grund meiner - wie sich noch zeigen wird: berechtigten - Paranoia auf Mails komplett verzichtete. Unverschlüsseltes WLAN, severstehnschon. Das Spiel selber war leider ziemlich undurchsichtig, und das mit dem "einmaligen" Farbhashtagtwittern sollte man auch noch mal checken lassen...

Los ging's für mich mit "Geek Politics and Anonymus". Die Anthropologin Gabriella Coleman berichtete von ihren Recherchen im Umfeld der "Internetaktivistengruppe" Anonymus. Recht interessant, wenn auch nichts wirklich Neues erzählt wurde. Anschließend hätte ich gerne "Shitstorm? You can do it" gehört, leider war der winzige Workshopraum dem Ansturm nicht gewachsen. Das war die nächste Enttäuschung (#2), die leider den Rest der RP11 immer wieder zuschlagen sollte. Die Zimmerchen waren einfach viel zu klein, so dass man sich eigentlich nur im Friedrichstadtpalast (FSP) und im großen Saal der Kalkscheune aufhalten konnte. Im Quatsch-Comedy-Club war nicht ein einziger für mich interessanter Vortrag, deshalb kann ich dazu gar nix sagen.

Naja. Den aus dem Workshop strömenden Personen und Tweets nach zu urteilen, war der Shitstorm-Vortrag sowieso eher mau. Ich setzte mich dann notgedrungen in den Vortrag "Wenn Linke Linke verlinken", den sich Thomas Pfeiffer wohl von Captain Obvious persönlich hatte diktieren lassen. Seine "Erkenntnis": Leute folgen hauptsächlich den Leuten, die sie mögen. ORLY?! Jaja, schon eine tolle Sache, dieses Interdingens m(

Die Mittagspause nutzte ich für einen kleinen Chat mit @Zivilschein, mit dem ich mich schon vorher zum Mittagessen verabredet hatte.

Weiter ging's mit "Modern Revolutions Are Digital Revolutions". Ein ziemlich gutes Panel mit sehr unterschiedlichen Teilnehmern, die uns ihre Eindrücke bzgl. Internet/Social Media vom afrikanischen Kontinent offenbarten. Fazit: Afrika ist noch weit davon entfernt, per Internet Revolutionen anzuzetteln. Stichworte Zensur, Repressionen, Monopole, fehlende Infrastruktur, Korruption usw. Trotzdem können Soziale Medien dort, wo die Infrastruktur vorhanden ist, zu scharfen Schwertern für Bürgerrechtsbewegungen werden.

Leider verlässt mich meine Erinnerung nun ein bisschen, ich weiß überhaupt nicht mehr, was ich bis zum Vortrag "Global Voices: The World is talking, are you listening?" getan habe. Wahrscheinlich Strom für meinen Rechner gesucht, der war nämlich (Enttäuschung #3) auf der RP11 so selten wie eine Schneeballschlacht in der Hölle. Grmbl. Der Global-Voices-Vortrag war ganz nett. Inhalt in etwa: Das Problem bei weltweiter Vernetzung ist immer noch die Sprachbarriere. Global Voices' Idee: Aktivisten bilden ein Netzwerk, in dem sie sich gegenseitig übersetzen. Oder so. Gute Idee, ich wünsche GV viel Erfolg bei ihrem Tun.

Absolutes Highlight war der Vortrag "Design for Collaborative Consumption", in dem ich völlig zufällig landete, weil ich Floyd schon wieder verloren hatte und einfach nicht wusste, wo ich sonst hin sollte. Michelle Thorne von der Mozilla Fundation stellte die Idee einer Bibliothek für Dinge vor, in der man sich Werkzeuge, Töpfe, Haushaltsutensilien und son Krams einfach ausleihen kann, anstatt den Tinnef ständig selbst zu kaufen. Dit jefällt ma total, in der Richtung muss ich mal ein bisschen Hirnen. Wer macht mit?

Anschließend in die Kalkscheune gerannt, wo mich Enttäuschung #4 erwartete: der Türsteher wollte erstmal überhaupt keinen mehr reinlassen. Also wieder Schlangestehendrängeln. Endlich drin wieder Enttäuschung #2: Workshop hoffnungslos überfüllt. Inzwischen reichlich genervt beerdigte ich gleich auch die Hoffnung auf "The Dark Side of UX Design" und trottete wieder in den FSP, wo ich den Dampfplauderer Sascha Lobo gezielt ignorierte und direkt im Anschluss von der Powerpoint-Karaoke enttäuscht wurde (#5). Der Moderator hielt sich irrtümlicherweise für umwerfend komisch, der erste Teilnehmer war umwerfend komisch, gewann aber nicht, die nächsten Teilnehmer kapierten die Regeln nicht, viele Folien waren einfach super unfair oder doof und die einzigen Folien, die echtes Potential bargen ("Ungeziefer und Lästlinge im Rasen"), wurden komplett versemmelt, diese äußerst schwache Leistung wurde dann jedoch mit dem 1. Preis belohnt. #epic #fail

Und wieder rüber in die Kalkscheune, wo Musik und Umtrunk auf dem Programm stand. Leider fand ich nicht so wirklich ins Gespräch, überall hingen festgeschweißte Grüppchen rum (Thomas Pfeiffer hätte auch hier tolle wissenschaftliche Erkenntnisse über menschliches Verhalten sammeln können) und das Männlein-Weiblein-Verhältnis näherte sich rapide dem eines Perl-Usergroup-Treffens. Um halb 12 also die Flucht Richtung Bett angetreten. An Schlaf war natürlich nicht zu denken, mir schwirrte der Schädel bis 2h Morgens.

'°*~-.,_,.-~*°'Tag 2 '°*~-.,_,.-~*°'

Der Tag war von völliger Erschöpfung meinerseits geprägt; ich bitte die negative Berichterstattung zu entschuldigen ;)

Los ging's mit "Wake the Blog": kann mich schon gar nicht mehr richtig erinnern, um was es ging. Halt! Doch: um Sprache im Allgemeinen (Stichwort Neusprech) und die völlig einseitige und manipulative Berichterstattung der herkömmlichen Medien im Besonderen über alles, was mit Internet, Blogs, Web 2.0 usw. zu tun hat. Es wurde das Beispiel einer (ZDF?)-Sendung genannt, in der Ranga Yogeshwar ständig als Diplomphysiker, Physikexperte usw. vorgestellt wurde, ein Mensch mit Internetahnung (Name vergessen) jedoch im Laufe der Sendung zum "Blogger und Internetaktivisten" degradiert wurde. Fazit: wir sollten bei unserer eigenen Berichterstattung gut darauf aufpassen, welche Worte wir verwenden und nach Möglichkeit eben nicht die einseitig geprägte Wortwahl der klassischen Medien übernehmen. Deshalb habe ich "Internetaktivistengruppe" Anonymus weiter oben auch in dicke Anführungszeichen gesetzt, ich will mir ja keine Merkbefreiung bescheinigen lassen müssen.

Und wieder rüber in den FSP. Es folgte "Wir sind der Urheber", ein eigentlich ziemlich guter Vortrag von Till Kreutzer, der für meinen Geschmack jedoch zu wenig (lies: gar nichts von) Creative Commons enthielt und dem es auch an Ideen mangelte, wie wir die Zwangsjacke Copyright erfolgreich sprengen könnten. Ortswechsel in die Kalkscheune (wenigstens die Bewegung kam nicht zu kurz): "Das Ende der Welt !!EINSELF!!". Die vier Protagonisten waren sich eigentlich darin einig, dass shitstorms nix bringen und auch sonst irgendwie alles doof ist. Absoluter Tiefpunkt des Vormittags.

In der Mittagspause sind @Alvar_f, @putte_music, @floyd_celluloyd und ich mit noch ein paar Leuten essen gegangen (sehr empfehlenswert: Mirchi in der Oranienburger Straße) um endlich mal zu besprechen, wie wir unseren Vortrag eigentlich gestalten wollen. Das dauerte gute 2 Stunden, brachte aber immerhin ein bisschen Ordnung ins Chaos.

Wieder im FSP angekommen erwartete uns der erschütternde und sehr bewegende Vortrag von Noha Atef, die grausame Dinge aus Ägypten berichtete, von ihrer "Finde deinen Folterer"-Website tortureinegypt.net erzählte und zu dem Fazit kam, dass Soziale Medien durchaus wegbereitend für die Ägyptische Revolution waren. Da wir exakt diese Frage (in Bezug auf S21) beim Mittagessen hitzig diskutiert hatten, ließ ich mir natürlich die Chance nicht entgehen, mir Noha von der Bühne weg zu krallen und mit ihr ein bisschen zu plaudern. Leider wollten noch sehr viele Leute mit ihr reden, deshalb war unser Chat zeitlich sehr begrenzt. Wir verabredeten uns für Freitag Abend, daraus wurde jedoch leider nichts, weil ich Noha im Gewimmel nicht mehr finden konnte. Schade!

Wenn ein Vortrag schon "How feminist digital activism is like the clitoris" heißt, bleibt mir nur eines: Flucht! Da "Bloggen und Recht" jedoch im bekanntermaßen zu kleinen Workshop 2 stattfand, bin ich da gar nicht erst hin und rantete statt dessen ein bisschen vor mich hin. Später erfuhr ich, dass "Bloggen und Recht" gar nicht so furchtbar überfüllt war... tja.

Die Twitterlesung interessierte mich mal gar nicht, und wie ich so in der Lounge rumsitze, kam Alvar daher und meinte: "lass uns doch mal Bilder für unseren Vortrag morgen Abend raussuchen". Ach, hätte ich bloß das Wörtchen "Nein" zustande gebracht. Alvar hat inzwischen 14.500 Fotos des Stuttgarter Widerstands geschossen und machte sich daran, alle durchzusehen. Nach gefühlten 10.000 Fotos alleine vom 30.09. war meine Stimmung endgültig auf dem Tiefpunkt und mein Kräftevorrat an seinem Ende angekommen. Ab ins Bett, an Schlaf war wieder lange nicht zu denken, diesmal wegen eines 30.09.-Flashbacks.

'°*~-.,_,.-~*°' Tag 3 '°*~-.,_,.-~*°'

Überraschend fit startete ich in den Freitag. Ich ließ es sehr locker angehen, schließlich sollte unser Vortrag erst um 12h beginnen und wir wollten uns um 11h für ein finales Briefing treffen. Endlich erhielt ich Zugang zu den Heiligen Hallen der Business Lounge. Dort gab es labbrige Sandwiches, Kaffee und O-Saft. Was es leider nicht gab, waren Alvar, Putte, Floyd und Andreas. Putte kam immerhin um 11.15h, nach und nach trudelten auch Floyd und Andreas ein (meine Aufregung wuchs in adrenalingeschwängerte Höhen), aber: wo ist Alvar? Der steckte im Nato-Absperrungsstau zwischen Bundestag und RSP und tauchte erst gegen 11:45 auf. Bei mir herrschte inzwischen Panik, beste Voraussetzungen also für ein gelungenes Panel.

Wir hatten leider sehr harte Konkurrenz und so war der große Saal der Kalkscheune selbst bei optimistischster Zählung nur halb gefüllt. Nun ja, man muss eben nehmen, was man bekommt. Ob das Panel jetzt gut oder nicht so gut war, kann ich euch nicht sagen, das wirkt aus der Ego-Perspektive immer etwas verzerrt. Zumal die nahende Mittagspause unser Publikum rapide schrumpfen ließ, was bei mir beinahe zu einem spontanen Heulkrampf geführt hätte. Später bekam ich jedoch recht positives Feedback also kann es nicht ganz beschissen gewesen sein. Es waren ungefähr 4 Kameras auf uns gerichtet, sobald ich ein Video in die Pfoten bekomme, werde ich es hier verlinken. Watch out for updates, Kids.

Der Rest des Angebots reduziert sich in meiner Erinnerung auf den absolut sehenswerten Vortrag "Unbeschadet ins Oberholz", in dem @Fukami uns über die sichere Verwendung offener WLANs unterrichtete. Er erzählte von Wireshark, dsniff und Firesheep, übernahm munter fremde Mailboxen, Twitteraccounts und WordPressblogs und sorgte mit Letzterem bei mir für den größten Schock der RP11. Es ging auch um HTTPS, SSL, VPN-Tunnelling und so weiter, was zwar alles furchtbar technisch klingt, aber dennoch super wichtig ist. Ich werde mich mal mit Fukami kurzschließen, vielleicht kann ich euch seinen Vortrag hier im Blog mal etwas näher vorstellen. Ein Vortrag wie dieser sollte der verpflichtende Eröffnungsvortrag einer solchen Konferenz sein, nicht am letzten Tag im letzten Hinterzimmer stattfinden.

Den Abschlussvortrag habe ich mit Floyd grandios beim Italiener ums Eck verpeilt, aber was soll's. Denn jetzt war es so weit, the moment we've all been waiting for: PAAAADY! And boy, what a party this was... so einen Spaß hatte ich schon lange nicht mehr. Ich hatte tolle Chats mit dem Kotzenden Einhorn, mit Alpha- bis Omega-Bloggern und -innen, mit Twitterkings und -queens, mit Jungvolk und alten Hasen. Bier, Kippen und Gelaber bis in die Puppen, anschließend zog ich im Pulk mit diversen Leutchen weiter ins cassiopeia, wo gerade die Bootie Berlin stattfand. Es war wie Weihnachten und Ostern zusammen. Leider gab es irgendwann fürchterliche Aufregung inklusive prügelnder Moruks und Polizei mit kompletter Lichtorgel und Disko, so dass wir ins ruhigere Kreuzberg flüchteten. Hier verliert sich die Spur irgendwie bis ich in einer WG die Sonne über den Dächern Berlins aufgehen sah, was zu einem ordentlichen Adrenalinausstoß führte, schließlich hatte ich noch einen Zug zu erwischen.

Mein ganz persönliches Fazit: hätte ich 85 Euro für den Eintritt gezahlt, wäre ich jetzt wahrscheinlich ziemlich enttäuscht. Hab ich aber nicht, bin ich also nicht. Das nächste Mal komme ich aber nur noch am Freitag, der Party-Abend war spannender als alle Vorträge zusammen. Inzwischen sind wir kurz vor Frankfurt und der Schlafmangel führt zur Ausschüttung toller körpereigener Drogen, die mich wacher denn je halten. Mal schauen, wann ich zusammenklappe ;)

daMax aka @Zwangsaccount over and out.

Update: das Flügel.TV-Video ist inzwischen online.