Vor ein paar Tagen flüchtete ich vor den Ereignissen hier in Stuttgart, weil mir das alles zu viel wurde. Ich brauchte einfach mal ein paar Tage Auszeit. Um diese Auszeit angenehm zu gestalten, musste Lektüre her. Aus einer Laune heraus kaufte ich mir "Gewitter über Pluto" von Heinrich Steinfest. Der Klappentext hatte es mir einfach angetan.
Zu meiner Überraschung lebt eine der Hauptfiguren des in Wien angesiedelten, höchst amüsanten Romans im Stuttgarter Stadtteil Botnang. Na gut, solche Zufälle sind häufiger als allgemein angenommen. Als ich jedoch gerade eben am Hauptbahnhof auf meinen Bus wartete, sprang mir der Draht aus der Mütze bei der Lektüre folgender Zeilen (die ich mit freundlicher Genehmigung von Heinrich Steinfest hier veröffentliche):
In der Mitte des Nachmittags, dann, wenn die Hitze alles und jeden ein bißchen ohnmächtig macht stieg ich aus dem Bus und bewegte mich über das Grün des Schloßgartens hinüber zum Hauptbahnhof. Wie den meisten Leuten, die hier lebten, war es mir unmöglich, dieses Gebäude zu betrachten, ohne in eine heftige Trauer und Wut zu verfallen. Eine Gruppe verwunschener, doch in ihrem Verwunschensein maschinenhaft unbeugsamer Stadt- und Landespolitiker hatte beschlossen, den Bahnhof zu zerstören und diese Zerstörung als Architektur auszulegen. Als würde ein Mann seine Frau töten, dieses Verbrechen aber dadurch rechtfertigen, sich ja eine neue, jüngere anlachen zu wollen. Im konkreten Fall war es noch schlimmer, da der Mann seine Frau nur halb totschlug (sprich, man wollte gewisse Teile des alten Bahnhofs erhalten), um ihr sodann zuzumuten, die Gegenwart der neuen Frau - einer vulgären, auf eine moderne Weise abartigen Person - zu ertragen. Ja, er würde die Halbtote zwingen, zu dritt im Bett zu liegen, um es dort aber selbstredend nur mit der Jüngeren zu treiben. Perverser geht es kaum noch. Einmal davon abgesehen, daß dieses Projekt unglaubliche Geldsummen verschlingen würde. Was naturgemäß dazugehörte, dieses Geldverschlingen, dieses Bauen-um-des-Geldausgeben-Willens, diese rotzfreche Haltung von Menschen, die so tun, als würden sie bloß ihr eigenes, sauer verdientes Vermögen zum Fenster rauswerfen.
[...]
Ich saß bereits im ICE nach Singen, als ich aus einem kleinen, wilden Tagtraum erwachte, einem Tagtraum vom Aufbegehren braver schwäbischer Kleinbürger, die sich an ihren Bahnhof anketten oder, noch besser, dieselben Leute zum Teufel jagten, denen sie an der Wahlurne ihre Stimme gegeben haben. Denn das muß, lieber Herr im Himmel, erlaubt sein, daß jemand seinen Fehler einsieht und - falls der Fehler nicht von selbst weichen mag - die nötigen Schritte unternimmt. Wäre das Terrorismus? Anarchie? Ein Krieg der Städter in der Art eines Bauernkriegs? - Vom Standpunkt des »Bürgerblatts« wäre es einfach nur ein kämpferischer Ausdruck »guter Laune«
Kleine Anmerkung: das »Schwäbische Bürgerblatt für Verstand, Herz und gute Laune« ist eine (fiktive) Zeitschrift, die der Ich-Erzähler herausgibt.
Mein Fazit: das Universum will nicht, dass ich mich allzu weit vom Widerstand entferne