Niemand hat die Absicht, einen Überwachungsstaat zu errichten

Mittwoch, 17.4.2013, 19:34 > daMax

1984-was-not-supposed-to-be-an-instruction-manualMir fehlen die Worte. Trotzdem ich muss jetzt irgendwas schreiben. Sonst hätte ich das Gefühl, meine einzige Chance zu verspielen, irgendeine Veränderung herbeizuführen. Bitte seht mir den etwas holprigen Stil also nach, ich kriege es heute nicht besser hin.

Aber.

Wir müssen laut werden. Wir müssen jetzt endlich mal wieder unsere Klappe aufmachen und unseren Großkopferten ins Gesicht brüllen, dass wir weder in einer DDR2.0 noch in einem Vierten Reich leben wollen. Denn das bekommen wir. Jetzt im Moment, Scheibchen für Scheibchen. Das aktuelle Scheibchen heißt verharmlosend »Bestandsdatenauskunft« und bedeutet im Endeffekt, dass sich Polizei, BKA und Geheimdienste nach Lust und Laune eure Namen, Anschrift, Geburtsdaten, Rufnummern, Passwörter für E-Mail-Accounts, Kontoverbindungen und Handy-PINs abschnorcheln können. Ohne richterliche Genehmigung. Ach, und wo ich dieses Wort gerade mal wieder schreibe: wisst ihr eigentlich, was eine richterliche Genehmigung hierzulande noch wert ist? Einen feuchten Kehricht! Richard Gutjahr hat sich durch eine 500 Seiten starke Max-Planck-Studie mit dem hübschen Titel »Rechtswirklichkeit und Effizienz der Überwachung der Telekommunikation nach den §§ 100a, 100b StPO und anderer verdeckter Ermittlungsmaßnahmen« gekämpft und was er da gefunden hat, hätte sich in der DDR nicht anders gelesen:

Lediglich in 0,4% der Fälle haben Richter eine Überwachungsmaßnahme abgelehnt. Die Genehmigung erfolgte in den meisten Fällen noch am selben Tag. In 63% der TKÜ-Anordnungen lagen zwischen Anregung und Antrag maximal 24 Stunden.

Als wäre das nicht schlimm genug, sind aber 75% aller Überwachungsmaßnahmen klar rechtswidrig. Das ist unserer Stasi aber scheißegal. Und so werden Jahr für Jahr Millionen(!) Telefonate angezapft und mitgeschnitten und abgeschrieben und ausgedruckt und archiviert. Warum bekommen wir davon nur so wenig mit? Müssten wir nicht wenigstens im Nachhinein von solchen Bespitzelungen informiert werden? Eigentlich schon, aber:

»Diese Unterrichtung aller Teilnehmer ist praktisch ja gar nicht umsetzbar. Außerdem würde das zur Verunsicherung bei den Bürgern führen.«

Sagt ein Ermittler. Und mir fällt das Abendessen aus dem Gesicht. »Wir treten das Gesetz mit den Füßen und erzählen es euch einfach nicht, denn sonst hättet ihr vielleicht was dagegen«.

Ja. Und diese Scheiße soll jetzt mit der »Bestandsdatenauskunft« auch noch automatisiert werden. Auf Knopfdruck bekommt jeder Dorfsheriff eure Passwörter und Handy-PINs. Dieses Gesetz wird - wie es sich in einer marktkonformen Demokratie gehört - nun durch die Hintertür eingeführt.

Und dagegen müssen wir endlich laut werden. LAUT, versteht ihr?

Nein. Ihr versteht noch nicht. Dann erzähle ich euch noch ein paar eklige Dinge, die als nächstes anstehen. Vielleicht kapiert ihr dann, warum wir jede einzelne dieser Maßnahmen mit einem lauten und deutlichen »NEIN!« verhindern müssen.

Zunächst wäre da mal die Idee von Telefonica (O2), Autofahrer rund um die Uhr zu überwachen, um.. äh... die Versicherung billiger zu machen. Bitte was? Ja, richtig gehört:

Ein Modul, das in das Auto eingebaut wird, erfasst dabei Faktoren wie Geschwindigkeitsüberschreitungen, Bremsverhalten und Nachtfahrten und überträgt diese per Mobilfunk an die Versicherungsgesellschaft. Laut dem Strategie-Vorstand von Telefónica Deutschland, Markus Haas, ermöglicht diese Technik den Versicherern eine “attraktivere und gerechtere Gestaltung ihrer Tarife”

Na klar, wenn der deutsche Michel Geld sparen kann, lässt er sich doch gerne bespitzeln. Nichts zu verbergen und so. Tja, und wenn er dann eben doch mal was zu verbergen hat? Kein Problem, dann schießen wir ihn eben mit Drohnen von der Straße! Glaubt ihr nicht? Wird aber aktuell erforscht:

Zukünftig sollen Drohnen fahrende Autos und Boote aufhalten – indem sie Motorelektronik stören, Netze verschießen, Schaumstoff sprühen oder Reifen durchstechen. Daran forscht das Forschungsprojekt Aeroceptor, das mit 3,5 Millionen Euro von der EU-Kommission finanziert wird.

Reifen durchstechen? Dafuq?!

Und dann war da noch die unerhebliche Kleinigkeit mit den Netzsperren. Wir konnten sie hierzulande zwar mit Ach-und-Krach erstmal abbiegen, aber andere Länder haben sie längst eingeführt. Und es kam, wie es kommen musste: anstatt  Kinderpornographie und Terrorismus zu »sperren«, werden diese Netzsperren eingesetzt um Webseiten mit allen möglichen unliebsamen Themen abzuklemmen: Drogen, Kontaktanzeigen, Live-Stream (Fußball), Medikamente (Steroide), Online Journal, Online Trading, Persönliche Anzeigen, Pflanzensamen, Phishing, SMS. Die Liste lässt sich beliebig weiter führen. Gestern hat es Indymedia erwischt. Aber Zensur ist immer nur das, was in Chiiiiina hinter der Maaaauuuuuer passiert, ne?

Leute, ich bitte euch eindringlich, nein, ich flehe euch an. Werdet LAUT gegen dieses Treiben. Kommt mir nicht ständig mit »aber die Nazis waren viel schlimmer weil Todeslager und so«. Ich scheiße auf Todeslager. In der DDR gab es auch keine Todeslager, aber das ist doch kein Grund, einen solchen Staat wieder zu errichten, oder?

Das Bestandsdatenauskunftsgesetz soll am 3. Mai an den Start gehen, wir haben noch ein klitzekleines Bisschen Zeit, uns dagegen zu wehren. Tun wir es also!