"Kulturelle Aneignung"
Mittwoch, 8.6.2022, 16:27 > daMaxIch muss jetzt mal was loswerden, wohl wissend, dass ich von dem ganzen Thema eigentlich überhaupt keine Ahnung habe, aber jetzt habe ich auch mal eine Meinung und Meinungen scheinen in manchen Kreisen deutlich wichtiger zu sein als Wissen und wozu habe ich überhaupt ein Blog, ne? Also.
Neulich wurde eine Künstlerin von einer kulturellen Veranstaltung ausgeladen. Weil sie Dreadlocks trägt. Und als weiße hetero Frau geht das ja mal gar nicht, denn das sei kulturelle Aneignung und bäh und überhaupt frisst sie sicher auch kleine Kinder. Oder so ähnlich. Der echte Hammer kam direkt hinterher: sie könne gerne kommen, wenn sie sich vorher die Haare abrasiere!
Damals hielt ich die Klappe, konnte mich eines mulmigen Bauchgefühls aber nicht erwehren.
Heute nun lese ich das Buch "Augenblick der Ewigkeit" von Bernhard Sinkel. Es geht darin um den fiktiven Dirigenten Karl Herzog, der im Laufe seines Lebens zu Weltruhm gelangt und auf dem Weg dorthin nicht drumherum kommt, sich den Nazis anzubiedern. Also den echten Nazis™, damals, vorm 2. Weltkrieg. Kurz vor einem entscheidenden Abend, an dem der (jüdische) Generalmusikdirektor von den Nazis aus der Oper vertrieben wird, spielt sich folgende Szene ab:
Er schlug den Mantelkragen hoch und stapfte durch den Neuschnee. Als er am Mendelssohn-Denkmal vorbeikam, blieb er stehen und schaute zu der drei Meter hohen Bronzefigur hoch [...]. Er hatte den einzigen Schüler Mozarts neben Cherubini stets um seine Eleganz und aristokratische Art beneidet und die Harmonie seiner Musik bewundert, die immerzu auch ein Glücksversprechen in sich barg.
Wie hatte der Festredner getönt? Mendelssohn sei ein Scharlatan und Hochstapler, ein Stümper, ein Fremdling und der Beweis dafür, daß das Judentum in der Musik zu einer erschreckenden Geschichte von Plagiat und geistiger Aneignung fremden Gedankenguts geworden sei, bar jeder eigenen Schöpfungskraft. Die wahre Seele seiner Musik sei, wie schon Richard Wagner sagte, nicht die eines anderen Charakters, sondern die einer anderen Rasse und habe nur das eine Ziel, die völkisch-kulturelle Basis mit dem semitischen Bazillus künstlerischer Impotenz zu verseuchen und damit die Lebenskraft des deutschen Volkes zu schwächen.
Hervorhebung von mir.
Bei der Lektüre dieser Absätze fiel mir die Szene um Frau Maltzahn wieder ein und BÄM! wurde mir klar, woher mein mulmiges Bauchgefühl eigentlich kam. Diese ganze Idee der kulturellen Aneignung ist in meinen Augen nämlich eine ziemlich faschistische. Obacht! Ich sage nicht, alle Sozialkrieger seien Nazis. Ich sage, dass mir die Idee einer wie auch immer gearteten "kulturellen Aneignung" zutiefst suspekt ist. Weil ich sie für faschistisch halte. Und ich erkläre euch auch gerne, warum.
In meinen Augen ist "Kultur" nichts anderes als ein endloser Remix, ein ununterbrochenes Wiederaufbereiten und Neuerfinden von schon mal dagewesenen Ideen, wenn man so will ein ständiger "geistiger Diebstahl" und der schlimmste Alptraum jedes Rechteverwerters und seiner weiblichen Pendants. Ich zum Beispiel höre ja gerne Heavy Metal. Den würde es ohne Rock'n'Roll wahrscheinlich nie gegeben haben und Rock'n'Roll hätte es nie gegeben, hätten nicht weiße priviligierte cis-Männer sich kackdreist beim schwarzen Blues bedient. Und da ist die Story nicht zuende, denn auch der Blues steht nur auf den Schultern von Riesen:
Er enthält Elemente afrikanischer, europäischer und karibischer Musik. Frühe Blues-Formen sind bereits in Vaudeville- und Minstrel-Shows des späten 19. Jahrhunderts dokumentiert.
Jo. So läuft das in der Kultur nun mal. Man nimmt, was man kennt, legt es neu auf, fügt was hinzu, lässt was weg und macht was Neues draus. Die Vorstellung, irgendwer könne aus dem Nichts heraus etwas vollständig Neues erschaffen, ist hanebüchener Unsinn. Und die Idee, dass man sich "unrechtmäßig" irgendwelche kulturellen Errungenschaften "aneignen" könne, halte ich persönlich für den größten Blödsinn seit plastikverpackten Bananen.
Das zum einen. Zum anderen steckt hinter der Idee der kulturellen Aneignung, dass es irgendwie getrennte Kulturen geben müsse. Die... ja was eigentlich? Die es rein zu halten gilt? Die nicht vermischt werden dürfen? Derer sich ein Mensch aus einem anderen Kulturkreis nicht bedienen darf? Weil.... weswegen doch gleich?
Sehen wir mal davon ab, dass sich auch die Nazis nur links und rechts bedient haben (woher kamen die Swastika, die Runen, die Totenkopfsymbolik und das ganze Brimborium um die arische Rasse gleich nochmal? Blond und blauäugig, dass ich nicht lache): die Idee von "reinen", "unschuldigen" oder wie auch immer gearteten Kulturen, die es zu bewahren gilt und die nur von Menschen desselben Kulturkreises verwendet werden dürfen, ist faschistoider Müll! Und einer Person anzuraten, sich die fucking Haare abzurasieren und schon sei sie wieder willkommen, ist Nazischeiße in Reinkultur, liebe Fridays for Future Pappnasen! Vielleicht war die Wehrpflicht doch gar keine so falsche Idee, denn damals™ wussten wir wenigstens noch, was wir da aus welchen Gründen verweigerten. Haareabrasieren zum Beispiel.
So. Das musste mal raus. Und jetzt ihr.
Nachtrag: in meinen dunklen Stunden beschlich mich schon der Gedanke, dass die ganze Klamotte nur eine Trollaktion identitärer Spacken war mit dem Ziel, Fridays for Future zu diskreditieren. Das wäre zumindest voll aufgegangen
So. Das musste mal raus
und kann man so stehen lassen. und auch ich kapier das geheule der superwoken nicht wirklich; selbst wenn wir hier von "kultureller aneignung" reden, ist das doch grundsätzliche wertschätzung der jeweiligen kultur, die damit zum ausdruck gebracht wird. und wenns dann nur um oberflächlichkeiten wie haarstyling geht, wird die ganze "diskussion" endgültig einfach nur lächerlich. der faschismusvorwurf hat da durchaus seine berechtigung.
Die ganze "Diskussion" um hier die Frisur Ronja Maltzahns ist genau wie der Identitätskrempel oder diese m.E. Luftdebatten um die Cancel Culture überflüssig wie ein Kropf und ich sehe jedesmal die Monty Python's in "Das Leben des Brian" vor mir.
Am Ende soll doch jeder frei nach Friedrich.II nach seiner Fasson selig werden, solange er/sie/es dabei nicht die Kreise von Anderen bewusst beeinträchtig. Und wenn eine Frau Maltzahn eben auf Dreads steht - so what?
Es war schon immer so, dass sich Kulturen gegenseitig beeinflussen und das wird nie anders sein. Das jetzt auf Einzelne abzuleiten wegen irgendwelcher Regeln, die eh keinen Sinn haben und ihrerseits wieder ausschließen und Elitäres hervorbringen, sind für den A....
Schade ist dabei nur, dass wegen solchen Kleinkriegs um Nebenschauplätze eine an sich gute Idee und Bewegung wie FfF sich selber in's Abseits kickt und vermutlich auch die meisten der dort Beteiligten über solchen Bullshit nur den Kopf schütteln können.
Wer wegen solchen Larifaris bereits derart intolerant ist, hat doch auch anderweitig null Kompromißbereitschaft. Das ist letztendlich eine Version des Weltfremden wie die der sprichwörtlichen Prenzlauer-Berg-Schickeria, die Öko, vegetarisch usw. inzwischen als Lifestyle entwickelt hat. Die kapieren dabei gar nicht, dass es Menschen gibt, die sich das nicht leisten können, verachten diese aber wegen ihrer meist nicht selbst verschuldeten Lebensweise.
Solche Sachen zeigen m.E. auch nur auf andere Weise diese egoistische Gesellschaft, die für manche nur dann taugt, wenn sich alle deren Konformität unterwerfen und sei es der einer Gruppe wie FfF.
Diese ganzen Gesellschaften sind einfach nur so kaputt und irgendwie ist kein Land in Sicht. Linke und ökologische oder anderweitig progressive Gruppen sind faktisch nur noch auf dem Papier vorhanden wegen solcher Nullnummern wie der hier erwähnten und uns läuft als Menschheit die Zeit davon.
Trotz allen Wissens wird weiter kapitalisiert auf Teufel komm´ raus; solange nur die Wohlstands- und Desinformationsbesoffenheit mit irgendwelchem medialen Bling-Bling nicht abbricht, damit nicht zu viele anfangen, sich Gedanken um Wesentliches zu machen und sich womöglich noch einig werden dabei. Lieber geilt man sich an einer Frisur auf, die Umwelt muss derweil warten...
Danke für die erhellende Klärung. Tatsächlich konnte ich mit dem Begriff nichts anfangen, halte mich aber auch aus dem ganzen Gedöns der Empöria, egal von welcher Seite, raus. Also geht vieles an mir vorbei - ist auch gut so. Aber auch die Bemerkung mit der Wertschätzung vom kleinen Teilchen fand ich sehr gut - man kopiert ja nichts, was einem nicht gefällt. Das erinnerte mich an einen Satz von Mel Brooks (der sich bekanntlich viele Filme "angeeignet" hat, um die dann gründlich durch den Kakao zu ziehen), wo er erklärte, daß er die Filme ja nur deshalb veralbert, weil er sie gut findet. Unter anderem auch Star Wars, wo er aber vorher bei George Lucas nachfragte. Und einen Gag aus dem Film übernahm Michael Mittermaier in sein Programm - leicht abgeändert. Wieder eine Aneignung. Nein! Doch! Oh! (wieder eine Aneignung...) Wenn man mal anfängt, findet man kein Ende mehr... Das ist natürlich weitab von allem Politischem.
ACK
Da habe ich im 'Standard' einen schönen Leserkommentar gelesen:
"Cultural Appropriation ist ein Idiotenkonzept. Es wurde von Idioten erfunden, es wird ausschließlich von Idioten verwendet und wer sich länger damit beschäftigt, läuft Gefahr selber zum Idioten zu werden.
Die Übernahme griechischer Philosophie durch muslimische Gelehrte, die Übernahme arabischer Ziffern durch italienische Rechenmeister, nachdem die Araber diese von den Indern übernommen hatten, Mozarts Übernahme italienischer Kompositionstechnik, die Transformation von Pörkölt in Gulasch oder von Mailänder Piccata in Wiener Schnitzel das hört nicht auf und nennt sich Fortschritt."
Hab's jetzt anderthalb Mal gelesen und stimme größtenteils zu. Wenn nur nicht der dumm dämlich Kommentar von Olaf Scholz wäre, von daher wird mir bei der Kategorie "heim ins Reich" a bissle unwohl.
@MCBuhl: ach so du meinst wegen neulich aufm Katholikentag? Ja, Verstehe. Aber meine Kategorie "Heim ins Reich" ist schon wirklich deutlich älter und da sammele ich halt alles, was in meinen Augen in die gleiche Richtung geht. Und ja, irgendwie finde ich schon auch, dass sich in manch woken Aktivistenkreisen eine Intoleranz und Autorität im negativen Sinn einschleicht, die mich zumindest aufhorchen lassen. Scholz andererseits ist für mich eh' keine Rede wert, der faselt so viel wenn der Tag lang ist...
Ja genau, Katholikentag. Ich weiß wohl wie du die Kategorie verwendest, lese deinem Blog ja schon eine gewisse Zeit. Die Tendenz des Recht haben Wollens (ich eiere um das faschistoid herum), empfinde ich auch. Schmerzhaft. So wird leider Sympathie verspielt.
Gibt ja noch den alten Spruch: wenn du nicht meiner Meinung bist, heiße ich dich nen Faschist.
Soll schon Nazis gegeben haben, die linke "Faschisten" geheißen haben...
@MCBuhl: naja, seit ich von der Existenz linksradikalen Schlagers erfahren habe, glaube ich eh' an alles. Oder nix. Oder
Ja genau: #seufz
Danke für diesen Kommentar. Auch wenn ich nicht gleich auf diese Schiene gekommen bin, fand ich es auch damals sehr merkwürdig von den FfF Typen. Ja die Sängerin trägt Dreadlocks. Aber ist das so schlimm? Wenn der Aufschrei aus der Bewegung der Dreadlocksträger gekommen wäre, wär es ja nachvollziehbar, aber so?
Mag ja sein, dass die Dreadlocks irgendwie nicht so ganz typisch sind für weiße Leute. Aber das fällt gerade jetzt auf? Ich meine Dreadlocks tragen doch sehr viele Leute gefühlt schon seit mehreren Jahren.
Der Kommentar aus dem Buch hat mich dann doch etwas nachdenklich gemacht. Irgendwie passt es hier dann doch ganz gut.
Irgendwie wieder typisch für die linke Bewegung. Die müssen sich immer wegen Kleinigkeiten zerstreiten, weshalb dann am Ende die Konservativen bzw. Nazis gewinnen.
Alle meschugge.
Hi @Tobi: Mir als geistigem Punk läuft es ja schon kalt den Rücken runter wenn ich sowas lese:
Was soll das denn auch sein? "Typisch für weiße Leute"? Hochgradiger Unfug, kreuzgefährlich weil normativ, konformistisch und tendenziell schon wieder - so leid es mir tut - faschistisch. Wer sich nicht "typisch weiß" verhält, fliegt raus? gruselig.
Ok hab ich mal wieder etwas unglücklich ausgedrückt.
Ja genau, da hast Du recht. Eigentlich hatte FfF immer ein anderes Ziel: Auf die Klimakrise aufmerksam machen.
Aus meiner Sicht sollte es dabei egal sein, ob da nun ein Schwarzer, Weißer, Roter oder welche Hautfarbe auch immer der Mensch nun mal hat, dabei ist. Auch ob der Mensch nun Piercing, Tattoo, ein Palistina Halstuch oder eben Dreadlocks trägt sollte egal sein.
Die einzigen die sich meiner Meinung daran stören dürfen (und das zurecht) sind die Menschen, die direkt davon betroffen sind. Beispielsweise jemand hat ein Nazi Tattoo und ich bin Jude.
Der Zusammenhang mit den Dreadlocks kenn ich gerade nicht. Aber mal angenommen, dass wäre irgendwo mal ein Zeichen für Unterdrückung gewesen und ich bin davon direkt betroffen: Dann wäre es OK, wenn ich als direkt Betroffener auf den Menschen hingehe und gut schwäbisch sage: "Hey Du Schoffsegel, das ist übrigens ein Zeichen der Unterdrückung. Bitte mach des weg! Vielleicht wusstest Du es ja nicht, aber jetzt weißt Du es!"
Wenn diese Belehrung aber von so einem priviligiertem weißem Menschen kommt hat das eher wieder ein Geschmäckle. Und das ist wohl der Punkt, denn wir beide meinen und ich vorhin wohl nicht ganz gut ausdrücken konnte.
Ob da jetzt jemand eine Glatze trägt, normale Haare oder einen bunten Iro oder ebene Dreadlocks ist mir eigentlich erstmal egal. Ist Teil der eigenen Entfaltung. Außer es sind explizite Aussagen dahinter: Irgendwelche Nazi Tattoos oder Drohung gegen Minderheiten. Dann ist es definitiv nicht ok.
Ne Glatze ist ja auch mehrdeutig: Entweder er hat halt einfach keine Haare mehr, hat ne Chemo, ist ein Skinhead oder tatsächlich ein Nazi. Aber das bekommt man ja auch nur dann raus, wenn man sich mal mit den Leuten beschäftigt und fragt.
Aber aus der Ferne kann man das halt nicht gleich beurteilen.
@Tobi: u got it.
Sehr gut erkannt - Glückwunsch, jetzt aber weiterdenken (wie jemand, der >1970 in der DDR sozialisiert wurde;o) außer man hatte das Pech an einen zu geraten, der besonders angeblich "linientreu" sein wollte - es also auch nicht verstanden hatte)
Zuerst schaut man sich immer die Methode an, dann den Inhalt. Wenn die Methode schei**e ist, dann darf ich nicht sagen, aber es entspricht meiner Meinung.
Egal ob Gleichbehandlung, Gleichstellung oder Gesundheit - Diktatur ist immer falsch.
Zur Sicherheit: Woran erkenne ich Diktatur? Nicht am Diktator, sondern am Vorgehen: "alternativlose Pflicht für alle".
@robotron sömmerda:
Falsch. Eine Impfpflicht z.B. hat nichts mit einer Diktatur zu tun, sondern sichert zum einen das Überleben aller, zum anderen die Aufrechterhaltung des gesellschaftlichen Lebens.
Man kann nicht einfach alles auf alles anwenden und von Kultur auf Gesundheit auf Politik schließen. Das führt zu geistigen Kurzschlüssen.
Eine allgemeine Pflicht, bei Rot an der Ampel stehen zu bleiben, ist nicht diktatorisch. Eine allgemeine Verordnung, keine Menschen mit dem Messer abzustechen, ist keine Diktatur.
Diktaturen erkennt man NICHT an allgemeinen Regeln/Pflichten für alle, sondern im Gegenteil an Pflichten oder Regeln, die nur bestimmten Gruppen aufgezwungen werden. Und nicht mal daran, denn sonst könnte man eine Führerscheinpflicht für das Führen von Kraftfahrzeugen schon wieder für diktatorisch halten, was sie nicht ist. Diktaturen erkennt man hauptsächlich an Willkür, Zwang, Folter, Konzentrationslagern, Denunziation, Gewalt, fehlenden Wahlen und solchen Dingen.
Wenn allen alles erlaubt ist, spricht man im allgemeinen von Anarchie.
Ich kann dir noch einen anderen Grund nennen, warum du im Grunde recht hast.
Vor ein paar Jahrzehnten haben die Rechten angefangen, "Ausländer raus!" mit "Ethnopluralismus" zu umschreiben. Zusammengefasst: "Ich hab nichts dagegen, dass es verschiedene Kulturen gibt. Aber sie dort bleiben, wo sie hingehören."
Im Grunde ist "kulturelle Aneignung" quasi eine unwesentlich "intelligenter" gerechtfertigte linke Version von "Ausländer raus!"
@Paula: BÄM! Treffer
@daMax:
Der Teil mit der Intelligenz war inspiriert von einem Zitat von Volker Pispers:
„Nie war Deutschland so einig: Ausländer raus! Natürlich brüllen das nicht alle wie die Skinheads in dieser primitiven Form. Jeder auf seine Art. In der FAZ klingt das so:Der Bogen ist überspannt, wenn in unserer Mitte immer mehr Menschen leben, die wir nicht verstehen und die mit uns nicht wirklich zusammenleben wollen oder können. So klingt das, wenn Skinheads studiert haben.“
Ganz schwieriges Thema, bei dem ich noch keine abschließende Meinung habe. Muss ja auch nicht immer sein.
Das Beispiel mit den Frisuren finde ich übertrieben, ebenso wie viele Pauschalkritiken des Konzeptes "cultural appropriation" unterkomplex sind. Das Argument, dass Aneignung ein Kompliment sei, teilen die Angehörigen der betreffenden Minderheiten eben nicht immer. Ganz im Gegentum, sie fühlen sich manchmal "enteignet" und/oder fremd-definiert.
Oder wie es mir eine Rechtsanwältin in Winnipeg sagte, die von den Cree und Metis abstammt: "Wenn weiße Kinder Indianer spielen, stört mich das vor allem deshalb, weil ich als unzivilisiert oder wild angesehen werde, wenn ich mit meinen Kindern Jagen gehe und im Zelt übernachte. Für uns ist das aber Tradition und Familienleben, kein Faschingsspaß."
Als ich - zielich dümmlich - sagte, dass es mich als Deutschen nicht störe, wenn in Kanada Oktoberfeste gefeiert werden, antwortete sie: "Der Unterschied ist, dass die Kanadier nicht versucht haben, dein Volk auszurotten."
Und seither bin ich ein bisschen skeptisch, wenn eine Runde weißer Menschen erklärt, warum etwas gar nicht schlimm, sondern eigentlich ein Kompliment sei.
Ich schliesse mich hier Andreas an, schwieriges und komplexes Thema. Eines bei dem ich zugegebenermassen auch nicht immer weiter weiss.
Ich lebe derzeit in Oregon USA, wo erst letztes Jahr ein Gesetz verabschiedet wurde, dass die Diskriminierung von Frisuren von Schwarzen in Schulen und am Arbeitsplatz verbietet (CROWN Act).
Ja richtig gelesen, im Jahre 2021 musste der Gesetzgeber her um zu verhindern, dass Leute entlassen oder von der Schule verwiesen werden, oder dass zum Beispiel schwarze Kinder dazu gezwungen werden sich die Haare schneiden zu lassen oder ihre Frisuren zu ändern weil traditionelle schwarze Haartrachten nicht erwünscht sind. Wenn sie von schwarzen Menschen getragen werden versteht sich. Wenn weiße Menschen dieselben Frisuren haben ist es cool und edgy und trendy.
Ich will hier nicht sagen, dass da nicht vielleicht ab und zu auch übertrieben wird. Aber das Thema als Idotie abzutun oder in die identitäre Ecke zu stellen finde ich jetzt auch nicht unbedingt angemessen.
Die Linie zwischen kulturellem Austausch und kultureller Aneignung ist nicht immer gerade und ordentlich. In dem Artikel „The Difference Between Cultural Exchange and Cultural Appropriation” sagt Jarune Uwujaren “This isn’t a matter of telling people what to wear. It’s a matter of telling people that they don’t wear things in a vacuum and there are many social and historical implications to treating marginalized cultures like costumes. It’s also not a matter of ignoring “real” issues in favor of criticizing the missteps of a few hipsters, fashion magazines, or baseball teams. Cultural appropriation is itself a real issue because it demonstrates the imbalance of power that still remains between cultures that have been colonized and the ex-colonizers.”
Den kompletten Artikel gibt es bei Interesse hier zu lesen https://everydayfeminism.com/2013/09/cultural-exchange-and-cultural-appropriation/ .
Sehr gut geschrieben, Max!
Ich kann Deinen Gedanken auch gut folgen.
Everything is a remix!!
Es wäre auch super schön, wenn man das Thema mit einer klaren Meinung einfach vom Tisch hätte, so isses aber leider wieder mal nicht
Neben total viel begrüßenswerter kultureller Vielfalt und glücklicher Durchmischung, gibt es eben auch Aspekte von „Aneignung“, wo Menschen für die SELBE Sache verschieden behandelt, bewertet werden, insbesondere im Kontext von Rassismus.
Wenn eben eine Schwarze Person die Haare nicht als Afro oder Braids tragen kann, ohne als „thug“ zu gelten, als dreckig bezeichnet oder direkt gekündigt zu werden, eine weiße Person hingegen einen Trend dabei setzt… da ist das happyland vom noch schöneren antifaschistischen Remix schnell ausgeträumt.
Wegen des zweierlei Maß. Und weil weiße Menschen bestimmen, wann etwas hübsch und hipp, wann ungepflegt und minderwertig ist.
Das schwierige ist, dass niemand bestimmen kann wann genau etwas wie okay oder nicht okay ist.
Deshalb bleibt eigentlich nur der direkte Dialog, sich zu bilden darüber, dass Haare eben zum Beispiel manchmal NICHT nur eine Frisur sind. Und zumindest innerlich mal zuzulassen, dass bestimmte Dinge verletzend sein können für von Rassismus Betroffene Menschen.
Und diese Menschen wollten die Organisatior:innen von FfF eben in diesem Fall schützen und „mitdenken“.
Ich persönlich finde das ist nicht gut gelungen, wertschätzte aber, dass sich zumindest Gedanken dazu gemacht werden. Ein persönliches Gespräch ohne Öffentlichkeit wäre bestimmt förderlicher gewesen.
Gleichzeitig finde ich es auch krass zu sehen, wie die Welt abgeht, wenn Rassismus ungeschickt oder vielleicht sogar auf falsche Weise versucht wird zu bekämpfen, wie wenig aber Rassismus selbst Menschen aufregt.
Das ist echt bedenklich.
@anneloewe: Ja, ich verstehe was du meinst und ja, wahrscheinlich ist alles nicht immer so simpel wie ich das gerne hätte. Zweierlei Maß ist scheiße, da bin ich voll bei dir, genauso beim direkten Dialog. Der wäre hier (und eigentlich in vielen Krakeelräumen der Empöria) deutlich angebrachter als... siehe nächster Satz.
Was ich hier so laut anprangere ist genau das, was du im letzten Absatz schreibst.
@daMax:
Ich LIEBE es mit dir einig zu sein🙂
Ich will nur, dass wahrgenommen wird, dass auch das Nachdenken über und verändern von Sprache oder kultureller Aneignung antirassistische Arbeit ist und nicht nur so ein Hobby von gelangweilten Linken.
Zwar wird in jeder Doku garantiert irgendein von Rassismus betroffener Mensch gezeigt, der genau das sagt.
Aber in Wirklichkeit gibt es nicht wichtigen und richtigen Antirassismus und dann eben den unwichtigen, nebensächlichen.
Es ist alles der selbe Pfuhl Scheisse und ich feiere jeden Menschen, der reingreift und versucht ein Stück Scheisse zu entfernen. Egal welches.
@anneloewe:
Das wird bei mir noch ein bisschen dauern, fürchte ich
Das hier haste gesehen, oder? Falls nicht: lohnt sich echt. Habe ich auch deinem Sohn per Signal geschickt, aber da guckt er wohl nicht mehr rein. Ist ja auch was von Boomern für Boomer
@anneloewe: es tut sich immerhin was. Langsam aber sicher.
https://www.stuttgarter-nachrichten.de/inhalt.rassismus-debatte-in-zuffenhausen-schausteller-deckt-umstrittenes-bild-ab.33e41423-e00a-4c3b-9872-63523ac08c0f.html
@Stefan R.:
Wer allerdings denkt, bei kultureller Aneignung ginge es darum, dass Techniken und Kulturen sich vermischen, hat sich vielleicht noch einen bisschen zu wenig mit dem Begriff und Inhalt auseinander gesetzt.
Definitiv zu kurz um es als „Idiotenkonzept“ abzustempeln.
@barbix:
Danke Barbix, für diesen tollen Beitrag und für den Artikel 😍
@anneloewe:
Vielleicht ist das ja ein Teil des Problems: dass Begriffe ständig neu besetzt oder erfunden werden. "Aneignung", so wie ich das gelernt habe, bedeutet unrechtmäßiges Einverleiben bzw. Übernehmen. Da geht es nicht um zweierlei Maß wie in deiner oben beschriebenen Deutung, sondern um "ich nehme wir etwas, das mir nicht zusteht". Und Kultur ist halt Kultur und kann mMn halt aus og. Gründen nicht unrechtmäßig angeeignet werden weil sie nur so funktioniert. Da bin ich iwie bei Stefan R.
Vielleicht wäre es hilfreich, wieder präzise und eindeutige statt mühsam eingedeutschter oder verfremdeter Begriffe zu finden, um die Verwirrungen zu vermindern.
Echt jetzt, ich kann in "kultureller Aneignung" nur ein riesiges Paradoxon sehen Könnte aber auch an dem 4. süddeutschen Kaltgetränk liegen, das zu meiner aktuellen Recherche gehört
@daMax:
Ich denke Begrifflichkeit ist nie einfach.
Neben einer Definition im Duden verstehen verschiedene Menschen verschiedene Dinge.
Ich höre zum Beispiel bei aneignen auch das (neutrale, nicht unrechtmäßige) aneignen einer Fähigkeit zum Beispiel.
Und dann gibt’s eben noch Fachbegriffe oder Begriffe sozialer Gruppen oder Subkulturen.
Und im (vorallem amerikanischen) Rassismus wurden eben (Fach))Begriffe geprägt, die bestimmte Phänomene beschreiben, die im Kontext mit Rassismus stehen.
Und das ist für manche Menschen schwierig zu nehmen oder vielleicht ärgerlich, dass hier Begriffe benutzt werden, und das was SIE SELBST darunter verstehen, ist eben nicht, was damit in einem bestimmten Zusammenhang gemeint ist.
Als eventuell vergleichbares Beispiel fällt mir „Theorie“ ein…im Sprachgebrauch ist das eine noch nicht belegte Idee. In der Wissenschaft hingegen wäre die Idee die These, wenn die These durch sehr starke Beweislage gestützt ist, wird es eine Theorie. Wie eben die EvolutionsTHEORIE. Also quasi das Gegenteil vom Sprachgebrauch.
Und so ist es eben mit Begriffen im Rassismus auch. Die wissenschaftliche Beschäftigung ab den 1980er Jahren in soziologischem und juristischen Rahmen hat Begriffe geprägt um sich WISSENSCHAFTLICH mit Phänomenen auseinander zu setzen, die mit Kolonialismus und Rassismus in Zusammenhang stehen. Diese Begriffe haben sich natürlich auch weiter entwickelt und haben nicht DIE EINE richtige Bedeutung. Aber sie stehen eben auch nicht ohne Bezug da.
Daher lohnt es sich eben sehr, sich da ein rein zu arbeiten um nicht immer erstmal jede Diskussion neu klären zu müssen, was eigentlich gemeint ist. Das hält auf und lenkt inhaltlich ab.
Hier zum Beispiel zu cultural appropriation:
„ cultural appropriation was first used in academic spaces to discuss issues such as colonialism and the relationships between majority and minority groups.“
Sprich: bei kultureller Aneignung steckt die Beziehung zwischen verschiedenen Machtverhältnissen bereits im Begriff. Ganz viele Beispiele, über die sich Menschen also aufregen und die dann als Belege für dieses „Idiotenkonzept“ herangezogen werden, fallen garnicht unter diesen Begriff.
@daMax:
"Vielleicht ist das ja ein Teil des Problems: dass Begriffe ständig neu besetzt oder erfunden werden."
Böse Zungen würden das wahrscheinlich "Moving the goalpost" nennen.