Ich lese gerade »Die Frau des Zeitreisenden« von Audrey Niffenegger, einen herrlich unlogischen, wenngleich etwas kitschigen Liebesroman über einen Typ, der aufgrund eines Gendefekts ständig durch die Zeit purzelt und sowohl sich als auch seiner Geliebten/Frau Clare immer wieder vorwärts und rückwärts in der Zeit begegnet. Auf Seite 88 findet sich folgender Absatz (Henry ist 35, Clare 13):
»Na schön«, sage ich, »versuchen wir's. Wir haben die Wahl zwischen drei Möglichkeiten: Einem festen Universum, in dem Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft gleichzeitig und parallel nebeneinander existieren und in dem alles schon passiert ist; dem Chaos, in dem alles möglich und nichts vorhersehbar ist, weil wir nicht alle Variablen kennen; und einem christlichen Universum, in dem Gott alles erschaffen und jedes seinen Sinn hat, uns aber wenigstens der freie Wille bleibt. Richtig?«
Clare wackelt mir mit den Zehen zu. »Kann sein.«
»Und wofür stimmst du?«
Clare bleibt stumm. Ihr Pragmatismus und ihre romantischen Gefühle für Jesus und Maria halten sich bei ihr, mit dreizehn, fast die Waage. Noch vor einem Jahr hätte sie sich ohne zu zögern für Gott entschieden. In zehn Jahren wird sie die deterministische Weltsicht bevorzugen, und noch zehn Jahre später glaubt sie an die Willkürlichkeit des Universums und dass Gott, wenn es ihn gibt, Gebete nicht erhört, dass Ursache und Wirkung unumgänglich und brutal, letztlich aber bedeutungslos sind. Und danach? Ich weiß es nicht. Im Moment jedenfalls sitzt Clare an der Schwelle zur Pubertät, in der einen Hand ihren Glauben, in der anderen ihren wachsenden Skeptizismus, und sie kann nur versuchen, beide in Einklang zu bringen oder zusammenzupressen, bis sie verschmelzen. Sie schüttelt den Kopf. »Ich weiß es nicht. Ich will Gott. Ist das in Ordnung?«
Ich komme mir vor wie ein Idiot. »Natürlich. Das ist dein Glaube.«
Mal abgesehen davon, dass es natürlich wesentlich mehr Möglichkeiten als nur die drei genannten gibt (z.B. die Idee der Wiedergeburt etc.), spricht mir dieser Absatz voll aus der Seele. Mein Problem mit Gott ist, dass mir der Glaube daran genau so kindlich vorkommt, wie das hier beschrieben wird. Man will eben daran glauben, dass es einen großen Übervater respektive eine Übermutter gibt, die diesem ganzen Chaos Sinn verleiht. Aber das ist mir zu einfach. Für kleine Kinder mag es in Ordnung sein, überall Magie und Gottwirken zu erkennen, aber mir als erwachsenem Menschen mit Informatikhintergrund kommt mir das eben vor wie pures Wunschdenken geboren aus der Unfähigkeit, Zusammenhänge zu erkennen. Manchmal beneide ich gläubige Menschen. Sie wirken so ruhig und entspannt weil »das alles Gottes Wille ist«. Dann wieder könnte ich fuchsteufelswild werden wenn ich so ein Gelaber höre, eben weil es mir völlig unreif und bescheuert vorkommt. In meinem Universum gelten dann eben doch eher die Gesetze von Aktion und Reaktion, von Heisenberg'scher Unschärferelation und von Ursache und Wirkung. Obendrauf gibt es dann noch ein dickes Sahnehäubchen in Form von menschlicher Kreativität und Kultur sowie eine große Ehrfucht vor der Natur. Wenn ich also etwas anbete, dann Natur, Kreativität und Kultur, aber nicht in dem Sinne von »Lieber Gott mach dies und jenes« sondern eben eher in Form von ehrfürchtigem Auf-die-Knie-fallen. Aber diese 3 Dinge sind nicht gottgegeben sondern gehören geschützt und gehegt und gepflegt, weil sie sonst eingehen.
Was wollte ich jetzt sagen? Irgendwie habe ich den Faden verloren. Ach richtig: es fällt mir schwer, an Gott zu glauben, weil mir das zu sehr wie kindliches Wunschdenken vorkommt und mir irgendwie zu einfach erscheint. Abgesehen davon, dass Gott viel zu oft benützt wird, um anderen Menschen zwangsweise die eigenen Ideen überzustülpen, aber das ist noch eine ganz andere Diskussion.