Die Ludwigsburger Erklärung

Freitag, 24.7.2009, 13:15 > daMax

Der Arbeitskreis gegen Internetsperren und Zensur (AK Zensur) hat heute in Ludwigsburg damit begonnen, den netzpolitischen Dialog mit den Parteien zu suchen. Hierzu fand eine Diskussionsrunde mit Politikern der SPD statt.

Dabei wurde eine Erklärung verfasst, die ich gerne in voller Länge veröffentlichen möchte (auch wenn mich dafür bestimmt einige steinigen werden), weil sie meiner Meinung nach ziemlich genau das in Worte fasst, was mir auch schwer auf dem Herzen liegt:

Wer aber unter Generalverdacht steht, beginnt sich selbst zu zensieren


Ludwigsburger Dialog für Informationsfreiheit und gegen Internet-Sperren

Im Bereich der inneren Sicherheit gibt es seit einigen Jahren eine gefährliche Tendenz Bedrohungen und Bekämpfungsstrategien isoliert voneinander zu betrachten. Handlungsoptionen, die dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entsprechen und dem Ideal der bürgerlichen Freiheit verpflichtet sind, werden zunehmend außer Acht gelassen. Der Wertekanon unserer Gesellschaft verschiebt sich von einer Tradition der Freiheit zu einer Ideologie der Sicherheit. Über Generationen erstrittene Freiheitsrechte gelten weniger als die Verheißungen eines scheinbaren Sicherheitsgewinns durch immer mehr Verbote, Kontrolle und Überwachung.

Als Folge erleben wir eine sicherheitspolitische Aufrüstung ohne Augenmaß: Vorratsdatenspeicherung, Onlinedurchsuchung, BKA-Gesetz oder Webseiten-Sperren sind die bekannteren Beispiele dieser Entwicklung. All dies geschieht im Namen vermeintlicher Sicherheit oder der Bekämpfung unliebsamer Inhalte. Es werden dadurch jedoch Infrastrukturen mit Repressionspotential geschaffen, die nur so lange keine größere Gefahr darstellen wie sie in den Händen demokratisch gesinnter Menschen sind und eine wirksame rechtsstaatliche Kontrolle gewährleistet ist. Die Diskussion über die Gefahr einer Erosion der Grundrechte muss dabei wieder in den Parteien und in den Parlamenten stattfinden und nicht nur in einer tief beunruhigten (Fach-)Öffentlichkeit oder vor dem Bundesverfassungsgericht. Denn der Schutz der bürgerlichen Freiheit ist eine vorrangige Aufgabe aller demokratischen Kräfte!

Durchdachte, effiziente und ganzheitlich angelegte Maßnahmen müssen das Markenzeichen sozialdemokratischer Rechts- und Innenpolitik der kommenden Jahre sein. Allen Entwicklungen hin zu einem autoritären Staat hat sie konsequent entgegen zu wirken. Vorhaben wie die von der großen Koalition eingeführte Webseiten-Sperre lehnen wir deshalb strikt ab! Dies ist unseriöser und schädlicher Populismus auf Kosten missbrauchter Kinder, mit langfristig bedrohlichen Nebenwirkungen für Grundrechte wie der Informationsfreiheit! Löschen ist demgegenüber die einzig richtige, verhältnismäßige und zugleich bürgerrechtsverträgliche Alternative. Sperren ist das nicht. Denn wir wissen: Beim Erarbeiten von wirksamen Strategien gegen weltweit geächtete Inhalte kann sich die Politik auf die Kompetenz mündiger „Netzbürger“ verlassen, die den bisherigen Gesetzgebungsprozess nicht nur mit Kritik, sondern auch mit konstruktiven Vorschlägen begleitet haben.

Zunehmend organisieren sich wegen dieses Themas bisher unpolitische Bürger. Dies zeigt, dass netzpolitische Themen in der Politik bislang zu wenig Beachtung fanden. Daher appellieren wir heute gemeinsam:

Das Internet darf nicht zum bürgerrechtsfreien Raum werden!

Wenn staatliche Institutionen mit dem Verweis auf angeblich drohenden Terror oder unerwünschte Inhalte an einer Infrastruktur der flächendeckenden Überwachung, des lückenlosen behördlichen Datenaustauschs und der staatlichen Kontrolle arbeiten und dabei die gesamte Gesellschaft unter Verdacht stellen, führt dies dazu, dass sich die Bürger permanent beobachtet fühlen und verunsichert werden. Besonders beunruhigend ist, dass für den Laien die gesetzlichen und technologischen Entwicklungen im Bereich der Überwachung in ihrer Geschwindigkeit und Vielzahl nicht zu überblicken sind und oftmals im Detail unverständlich bleiben. Wer aber unter Generalverdacht steht, beginnt sich selbst zu zensieren. Auf diese Weise kommt einer Gesellschaft das freie Denken abhanden und mit ihm die unverzichtbare Kraft, sich aus sich selbst heraus zu erneuern.

So wie in einem demokratischen Rechtsstaat Folter kein legitimes Mittel der Strafverfolgung sein darf, müssen auch ganz selbstverständlich schädliche technische Eingriffe in Kommunikations- und Informationsnetze als Mittel der Gefahrenabwehr ausgeschlossen sein. Und so, wie nicht alle Postkarten und Briefe kontrolliert und ihre Inhalte abgeschrieben werden, so dürfen Strafverfolgungsbehörden die technischen Möglichkeiten, die das Internet ermöglicht, nicht zur schrittweisen Errichtung einer Infrastruktur zur umfassenden bis hin zur totalen Überwachung der Bürger zweckentfremden.

An alle demokratischen Parteien stellen wir den selbstverständlichen Anspruch, unter allen Bedingungen jedem Missbrauch durch demokratie- und grundrechtsfeindliche Kräfte standzuhalten. Das gilt besonders für die SPD, die als ihren ersten Grundwert die Freiheit anführt. Dies ist das tragende Prinzip unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung, das der Parlamentarische Rat aus guten Gründen in unserer Verfassung als „ewig“ verankert hat. Wir halten es für falsch, wenn Regierungsmitglieder und Abgeordnete des Bundestages diesen demokratischen Grundkonsens beim Internet aufgeben wollen.

Gemeinsam wollen wir diese Fehlentwicklung korrigieren und mit den uns jeweils zur Verfügung stehenden demokratischen Mitteln für eine Politik streiten, die Sicherheit in Freiheit verwirklicht, anstatt die Freiheit unserer Gesellschaft einer scheinbaren Sicherheit durch totale Kontrolle zu opfern bereit ist.

Wir werden die sicherheitspolitischen Entscheidungen der Vergangenheit wie auch künftige Gesetzesvorhaben kritisch hinterfragen, im Interesse der Freiheit auf sie einwirken und die gemachten Fehler korrigieren. In Kenntnis der Chancen wie auch der Herausforderungen der neuen Medien für unsere Gesellschaft werden wir an diesem gemeinsamen Ziel arbeiten.

Denn: Der vornehmste Grund für Sicherheit ist es, die Freiheit zu schützen!

Ludwigsburg, den 23. Juli 2009