Ein unveröffentlichter Leserbrief
Samstag, 5.6.2010, 08:59 > daMaxDa die S21-kritischen Leserbriefe hier in Stuttgart nicht mehr abgedruckt werden, tun wir das nun auf anderem Wege. Auch heute wieder einer des ehemaligen Leiters des Stuttgarter Hauptbahnhofs, Egon Hopfenzitz:
03. Juni 2010, O2.07 Uhr
Herrn
Isenberg
StuttgarterNachrichten
Per E-Mail
Sehr geehrter Herr Isenberg,
im Wissen, dass meine stets gegen S 21 gerichteten Leserbriefe kaum mehr Eingang in die StN finden sowie als Abonnent dieser Zeitung seit 1962 (fast 50 Jahre) ein paar Zeilen zu Ihrem Artikel "Massive Drohungen...". Einleitend der interessante Hinweis auf die 13 darauf hin eingegangenen und veröffentlichten Leserbriefe: 11 gegen S 21, 2 für Drexler.
Die Drohungen und Angriffe "unter der Gürtellinie" sind zu missbilligen. Unverständlich, warum keine Anzeigen erstattet werden. Ihnen, lieber Herr Isenberg, gab diese unschöne Sache meines Erachtens erneut eine günstige Gelegenheit - oder auch dem Auftrag der Zeitungseigner folgend - das Unsinnsprojekt S 21 zu loben.
Warum werden von Ihnen und Ihren Kollegen nie Recherchen angestellt, warum sich Bürger der Stadt und Umgebung gegen dieses Unsinnsprojekt stellen? Glauben Sie wirklich, dass alle zustimmenden Parlamentarier der Stadt und des Landes diesem Projekt in ehrlicher Kenntnis von realen Kosten und bislang unbekannten Details zugestimmt hätten? Das Projekt von 1995 ist nicht mehr das von heute, nicht mehr von der Kostenseite her und nicht mehr nach heute bekannten Einzelheiten wie:
Während der Planungsvorgang von der DB zweimal gestoppt wurde, konnte dieser durch hohe finanzielle Aufmunterungsmittel vor allem von Herr Oettinger (im Namen des Landes) und finanzielle Vorleistungen durch OB Schuster (im Namen der Stadt) in Gang gehalten werden. Dazu kamen finanzielle Vorleistungen durch die Stadt durch Kauf von vermutlich erst in Jahren nutzbaren Bahngeländes und Zwangszahlungen durch den Flughafen in Millionenhöhe für Reisende, die irgendwann einmal zum Flughafen kommen. Und all dies soll möglich sein, um schneller nach Bratislava zu kommen? Nein, all dies nur um das Immobilienprojekt hinter dem Bahnhof zu ermöglichen.
Gegen dieses stets nur in Teilen bekannt gewordene Handeln der politisch Mächtigen in Stadt und Land mit offenbar ungehindertem Zugang in den Steuersäckel haben dann 67 000 Stuttgarter Bürger aufbegehrt und wollten einen Bürgerentscheid, ein politisch zulässiges Mittel gegen Machtmissbrauch des Mächtigen der Stadt. Und was waren die Folgen:
Als sich dann Bahn, Stadt und Land schriftlichen und mündlichen Anfragen nicht mehr erwehren wollten und vermutlich auch nicht mehr konnten, Schaffung eines sogenannten Kommunikationsbüros mit einem Sprecher Wolfgang Drexler und einer Sprecherin Alice Kaiser, beide mit Sicherheit ohne jegliche Bahn- und Bahnhofskenntnisse. Herr Drexler, theoretisch geschult und sprachgewaltig, wusste allerdings bereits nach 3 Tagen, dass er "das bestgeplante Projekt S 21" übernommen habe. Man darf nur Leute fragen, die sich bei seinen auswärtigen Vorträgen ("bin bis September ausgebucht") mit für ihn unangenehmen Fragen zu Wort gemeldet haben: "wir wurden abgewimmelt und abgespeist". Als Folge wurde dann, als die Kosten explodierten, als neue Version die Leistungsfähigkeit des Kopfbahnhofs angezweifelt und als Bauursache vorgeschoben.
Herr Drexler geht in seinen Bemühungen, die einmal gemachte Aussage: "der Tiefbahnhof ist doppelt so leistungsfähig als der Kopfbahnhof" so weit, mir als ehemaligem Bahnhofsleiter vorschreiben zu wollen, wieviel Streckengleise auf den Hbf zuführen. Statt der realen und in jedem Bahnhofsplan eingetragenen 6 Streckengleise schreibt mir Herr Drexler oder einer seiner Mitarbeiter: "Es bleibt bei 5 Zufahrtsgleisen". Den Tiefbahnhof beglückte er mit 8 Zulaufgleisen obwohl es nur 4 sind (wie auch Prof. Martin von der Uni bestätigt). Ich muss Aussagen lesen wie: "In Zürich fahren die Züge nebeneinander in den Bahnhof ein, in Stuttgart nur hintereinander". Herr Drexler schreibt weiter, im Hbf würden ausfahrende Züge durch einfahrende Züge behindert obwohl ich ihm das Gleiche für den Tiefbahnhof mitgeteilt habe. Er preist die Eigenschaft im Tiefbahnhof an, dass dort 2 Züge auf ein Gleis einfahren könnten obwohl dies im Hbf schon seit 1974 möglich ist. Als ich die Leistungsfähigkeit des Kopfbahnhofs mit 51 Zügen/Stunde nachwies,erhöhte Herr Drexler sofort die Stundenleistungsfähigkeit im Tiefbahnhof auf 102. Seine Zählweise würde aber die Leistungsfähigkeit im S-Bahnhof Hbf (tief) ebenfalls auf 50 Züge pro Stunde und Gleis erhöhen, d.h. alle 1,2 Minuten ein Zug. Das alles nur, um bei der Aussage der doppelten Leistungsfähigkeit des Tiefbahnhofs bleiben zu können. Dies ist, mit Verlaub, Starrsinn oder Unbelehrbarkeit. Aber Herr Drexler hat ja einmal bemerkt "bei jedem Großprojekt gibt es ein paar Spinner".
Derzeit wird ein bisher unbeachtetes Problem der Fassbarkeit der nur 4 Bahnsteige im Tiefbahnhof mit Reisenden untersucht, weil anzunehmen ist, dass schon bei geringen Verspätungen sich auf einem Bahnsteig Reisende für 4 Fernzüge drängeln werden, ohne ebenerdigen Zu- oder Abgang. Dazu passt sehr gut die von Ihnen in StN Nr. 124 veröffentlichte wunderschöne Illustration von Aldinger und Wolff, welche die Enge der Bahnsteige auf Höhe der nur einseitigen zu- und abgehenden Rolltreppen darstellt. Der
Platz zwischen Treppen und Bahnsteigkante -- der Sicherheitsabstand zur Kante mit 0,5 m schon abgerechnet -- mit 1,5 m wird bei der Binnenwanderung im Bahnsteigbereich von zu- und abgehenden Reisenden mit Sicherheit zu einer gefährlichen Engstelle. Die Folge bei nicht auszuschließenden Ausfällen von Rolltreppen kann man sich jetzt schon vorstellen, und Kinderwagen sind auf Rolltreppen ohnedies verboten. Aber nach Herrn Drexler ist das alles ja "bestgeplant".
Ich könnte ihnen noch einiges mehr zum bestgeplanten Tiefbahnhof mitteilen, meine aber, dass ich jetzt schon zu viel geschrieben habe. Und warum? Um Ihnen aufzuzeigen, dass es schon der Mühe wert wäre, in Ihrer neutral sein wollenden Zeitung sich einmal mit einem S 21- kritischen Auge den neuen Tiefbahnhof und das Gebaren des Kommunikationsbüros anzusehen. Man will ja kommunikativ sein, die Leute mitnehmen, bürgernah berichten und alle an den Planungen und Mitgestaltungen beteiligen, allerdings "ohne die Grundstrukturen zu ändern". Was daraus geworden ist, haben Sie ja selbst gesehen und beschrieben: Frust, Kopfschütteln, nichts mehr glauben. Untersuchen Sie doch einmal, warum dies so ist. Gehen Sie einmal selbst auf den Hbf. Dort sehen Sie bereits am Bahnsteig Gleis 5/6 vorne den neuen vorgeschobenen Bahnsteig wachsen. Und das, obwohl 2 Bereiche, der Abstellbf Untertürkheim und die Befahrbarkeit der Strecke Rohr -- Flughafen mit Normalzügen noch nicht genehmigt sind und die Verwirklichung der Strecke Wendlingen -- Ulm aus finanziellen und planerischen Gründen noch in den Sternen steht.
Widmen Sie doch diesen Dingen einmal Ihre Zeit, oder befragen Sie doch einmal einige der 4000 an der Montagsdemo Beteiligten, warum sie Woche für Woche kommen. Das wäre sicher mehr wert als die wenigen oder gar fehlenden Zeilen über diese Demo.Diese Demonstranten und auch ich, wir fühlen uns nicht ernst genommen, sondern belogen und betrogen, und aus diesem Gefühl heraus wächst ein Widerstand, der nicht nur in Stuttgart sondern auch im Umland wachsen wird. Und die bisher bei Demos friedlich dabeistehende Polizei wird beim Abriss (nicht Abbau Stein um Stein, um die Gegner zu besänftigen) der Seitenflügel und dem Ausreißen der 280 Bäume viel Arbeit haben. Dabei werden dann sicher Sie oder Ihre Kollegen persönlich dabei sein und wiederum 2 Seiten mit Fotos über die Unbelehrbaren vom Nordausgang berichten.
Mit freundlichen Grüßen
Egon Hopfenzitz
Weitere unveröffentliche Leserbriefe:
26.5.2010: Egon Hopfenzitz
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