Quo vadis, Spiegelfechter?
Bisher hielt ich ja viel von Jens Berger, dem Begründer des Blogs Spiegelfechter. Leider gibt Jens mir in letzter Zeit öfter auf eine Art und Weise zu denken, die mir so gar nicht gefallen will. Ich fange nämlich an zu glauben, dass Jens sich in der Position des Kritikers so gut gefällt, dass er langsam die Bodenhaftung verliert. So schreibt er zum Beispiel heute für Nachdenkseiten einen Artikel über die Occupybewegung, bei der er rechtspopulistische Tendenzen ausgemacht haben will und versteigt er sich zu der Aussage
Natürlich ist es möglich, dass die Occupy-Bewegung im Kern Positionen innehat, die mit denen der NachDenkSeiten größtenteils deckungsgleich sind und nur die Administration des Forums schlichtweg intellektuell überfordert ist. Wenn man seine eigene Internetpräsenz jedoch nicht unter Kontrolle hat, besteht Handlungsbedarf – vor allem bei einer Organisation, die sich primär auf das Internet als Kommunikationskanal fokussiert.
Tja, da frage ich mich dann aber schon, ob Jens überhaupt verstanden hat, was Occupy und das Internet sind. Wie soll denn "die Occupy-Bewegung" "ihre" "Internetpräsenz" unter Kontrolle haben? Da muss ich ja fast jedes Wort in eigene Anführungszeichen setzen, so krude sind diese Verallgemeinerungen. Ist Occupy vielleicht ein Konzern oder eine sonstwie hierarchisch gegliederte Organisation? Wo mal einer aufn Tisch haut und eine corporate identity vorschreibt, die dann weltweit synchronisiert ausgerollt wird? *koppschüttel* Da hat irgendwer einen facebook-Account angelegt und findet dort anscheinend den Turbokapitalisten Olaf Henkel toll. Jens schreibt, dass der Artikel
jedem Leser den Eindruck vermittelt, die Ziele von Henkel seien mit denen von Occupy Deutschland deckungsgleich
Wie meinen? Wie kommt er bitte dazu, Mutmaßungen über jeden Leser dieses Postings anstellen zu können? Also ich meine, ich habe besagten Artikel zwar nicht mal gelesen (tl;dr) aber selbst dann würde ich nicht im Traum daran glauben, dass ein einzelner facebook-Post die Ziele einer so heterogenen und selbstorganisierten Struktur wie Occupy widergeben würde. Mal abgesehen davon, dass es mir als Außenstehendem sowieso so vorkommt, als würden sich bei Facebook (im Gegensatz z.B. zu twitter) hauptsächlich CDU- und FDP-Fanmenschen einfinden, von denen ich eh keine anderen Ansichten erwarte. Mensch Jens! Das kannst du doch besser...
Auch seinen Spiegelfechter scheint Jens in eine seltsame Richtung treiben zu lassen (oder trieb der schon immer in diese Richtung und ich raff das erst jetzt?): erst lässt er Stefan Sasse einen dermaßen reaktionären Kram schreiben (finde den Artikel jetzt gerade nicht mehr), dass ich zum ersten Mal in meinem Leben einen Autoren-Filter in meinem Feedreader erstellt habe. Dann wieder bietet er Michael Wörz eine Plattform um mal so richtig über die Piratenpartei herzuziehen. Dabei fallen dann Sätze, wie ich sie vielleicht an einem CDU-Stammtisch erwarten würde, nicht aber in einem von mir geschätzten Blog:
Solche Ideen [vom Bedingungslosen Grundeinkommen] scheint die Freibier-Fraktion als Aufforderung verstanden zu haben, weitere Modelle zu entwickeln, die dazu geeignet sind den eigenen Alltag zu versüßen indem man der Allgemeinheit in die Taschen greift. So steht die Piratenpartei auch für den kostenlosen ÖPNV – legales Schwarzfahren sozusagen.
Ja klar, wenn man natürlich auch eine - zugegebenermaßen - Nullnummer von Wiki-Eintrag verlinkt, kann man schon mal auf die Idee kommen, die Piraten seien ein Haufen Irrer. Man hätte sich aber auch die Mühe machen können, mal 10 Minuten auf der PP-Seite herumzuklicken. Dann wäre man eventuell auf diesen Eintrag der "AG Bauen und Verkehr/Kostenloser ÖPNV" gestoßen, der schon eher dazu angetan ist, noch einmal darüber nachzudenken, ob sich wirklich nur Deppen in der PiratenPartei engagieren. Aber man will ja lästern, da stören solche differenzierten Betrachtungen ja nur. Verwirrendes Detail am Rande: ausgerechnet Stefan Sasse schrieb dazu eine Gegenrede.
Es fällt mir nicht leicht, einen abschließenden Gedanken unter diesen Rant zu setzen. Bewegungen wie Occupy, Anonymous oder die PiratenPartei sind in ihrer basisdemokratischen Organisiertheit nicht so einfach mit herkömmlichen Bündnissen zu vergleichen. Okay, letztgenannte ist immerhin auf dem Marsch durch die Institutionen und was da hinten wieder ausgeschieden wird, wird sich erst noch zeigen. Aber vielschichtige und führerlose Konglomerate wie die erstgenannten werden nie mit einer Stimme sprechen können, das liegt in ihrem Wesen begründet. Warum gestehen wir ihnen nicht einfach zu, durch ihre Taten zu überzeugen (so denn welche erfolgen) um sie daran zu messen anstatt blindwütig auf diesen jungen Pflänzchen rumzutrampeln?