Eltern aufgepasst. Der Gymnasiallehrer David Eugster beschreibt in der Schweizer Wochenzeitung
wie Ironie den Hass massentauglich macht: Internet-Memes sind zur Universalwährung für Provokation geworden – und zur Streuwaffe im Kulturkampf der Rechten.
Ich finde den Text ziemlich gelungen in der Hinsicht, dass er die Ohnmacht und Hilflosigkeit der Erwachsenen gegenüber Phänomenen wie Memes, Hatespeech und schleichender Faschistisierung des Gedankenguts Jugendlicher ziemlich gut darstellt. Ein kleiner Auszug:
«Feminismus ist Krebs»
Internet-Memes [...] können grundsätzlich in jede politische Richtung gedreht werden. Die Inhalte, die sie vermitteln, hängen von der jeweiligen Bearbeitung ab. Und Memes transportieren durchaus auch politisch relevante Inhalte: Als ich mit besagter Klasse eine Rede von Joseph Goebbels besprach und sie fragte, ob ihnen aktuelle Beispiele solcher Formen hasserfüllter Rhetorik einfielen, kam die ernst gemeinte Antwort: «Feminazis». Ein typisches Exemplar für eine solche totalitäre Feministin war für sie «Trigglypuff»: Die Schüler zeigten mir das Video einer Aktivistin, die zeternd eine Podiumsdiskussion am Hampshire College störte. Aufgenommen wurde das Video an einer Veranstaltung zur Frage, ob die Sache mit der Political Correctness zu weit gegangen sei. Milo Yiannopoulos, Kolumnist bei «Breitbart» und damals noch Posterboy der Trump-Kampagne, hielt dort eine ultrakurze «Rede» mit dem knappen Wortlaut: «Feminism is cancer» (Feminismus ist Krebs). Tags darauf wurde das Video von seiner Gefolgschaft in zigfachen Variationen zu einer kurzlebigen Ikone des Antifeminismus gemacht – bis es schliesslich auf den Laptops in meinem Schulzimmer landete.
und dann kommen noch jede Menge Dinge, die man als Eltern wenigstens mal gelesen haben sollte. Zur Ehrenrettung der Jugend möchte ich einen kleinen Schwank aus meiner eigenen Jugend vom Stapel lassen, denn ich glaube ja, Kids sind bei aller rechten Gefahr durchaus in der Lage, zwischen Ironie (bzw. ihrem größeren Bruder Sarkasmus) und Realität zu unterscheiden.
Als ich 15 war, kam zu mir in die 10. Klasse ein Sitzenbleiber. Unser Klassenverband war relativ stabil und so wollte mit diesem Loser natürlich erst mal niemand was zu tun haben. Eines Tages sah ich ihn nach der Schule an der Straßenbahnhaltestelle sitzen und zu meiner großen Überraschung fiel mir zum ersten Mal der KREATOR-Patch auf seiner Jeansjacke auf. Nun muss man wissen, dass meine Metal-Phase etwa 4 Jahre vorher mit IRON MAIDENs "Life After Death" ihren Anfang genommen hatte, ich mit dieser Vorliebe allerdings in meinem Freundeskreis ziemlich alleine da stand.
Ich quatsche ihn also auf diesem Patch an und das war der Beginn einer zwar nur kurzen, aber dafür umso intensiveren Freundschaft. Uwe, von seinen Freunden liebevoll "Uzi" genannt, war 2 Jahre älter als ich (in dem Alter eine schier unüberbrückbare Kluft) und war ein deutlich überzeugterer Metalhead als ich. Wir tauschten Tapes wie verrückt und wurden uns des geistigen Abstands zwischen uns und den "Normalos" immer deutlicher bewusst. Naja, irgendwann zu dem Zeitpunkt fing es an, dass wir diesen Abstand künstlich vergrößern wollten. Also suchten wir uns ein Thema aus, dass sämtliche Klassenkameraden und die Lehrer(!) gemeinsam auf die Palme brachte: wir fingen im Geschichtsunterricht an, rechte Sprüche zu kloppen. Der Erfolg ließ nicht lange auf sich warten. Sämtliche braven Schüler, von Hippienachwuchs bis hin zu den konservativsten CDU-Wähler-Kindern, bildeten eine geschlossene Front gegen uns. Wir waren glücklich! Endlich hatten wir alle gegen uns. Im Laufe weniger Wochen gesellten sich noch 1-2 andere dazu und schon bald war der Durchschnittslärmpegel in Geschichtsstunden um gut 30dB erhöht
Allerdings waren sowohl Uzi und ich uns ohne Worte darüber einig, dass das nur ein Joke war. Schon auf dem Weg zur Straßenbahn war das Thema für uns erledigt, schließlich gab es so viele wichtigere Dinge auf der Welt, z.B. die gerade neu erschienene "...and Justice For All" von METALLICA, deren Texte wir zwar nur zu einem Bruchteil kapierten, die uns aber dennoch irgendwie für die wachsende Ungerechtigkeit in der Welt sensibilisierten.
Eines Nachmittags gingen wir mal wieder gemeinsam zur Straßenbahn, diesmal mit K. im Gefolge. Wir hatten gerade eine Geschichtsstunde hinter uns, K. war noch voll in der Rolle und faselte was von der Endlösung oder irgend so einem Blödsinn. Ich meinte zu ihm:
"Ist ja gut jetzt."
Er: "Hä? Was meinst du?"
Ich: "Kannst aufhören, wir sind raus aus der Schule."
Das führte zu einem schwer zu beschreibenden Austausch sehr verstörter Blicken zwischen K., Uzi und mir, denn sowohl Uzi als auch mir wurde in dem Moment schlagartig klar, dass K. den Scheiß ernst nahm, während K. dämmerte, dass er in uns vielleicht doch keine Gesinnungsgenossen gefunden hatte. Von da an spielten wir das Spiel zwar noch eine Weile weiter, aber irgendwie machte es plötzlich lange keinen so großen Spaß mehr. Leider haben wir es - glaube ich - versäumt, mit K. mal ein wirklich klärendes Gespräch zu führen, ich fürchte, wir haben das Thema einfach nicht mehr angesprochen...
Was ich sagen will: unsere Nazirolle mag für Außenstehende zwar sehr echt ausgesehen haben, aber trotzdem meinten weder Uzi noch ich das je wirklich ernst. Zu keinem Moment. Man könnte sagen, wir waren "ironische Nazis", wie die Punks in den 70ern, die sich mit Hakenkreuzen schmückten, einfach nur, weil das garantiert sämtliche Spießer gegen sie aufbrachte. Ich habe jetzt auch kein Patentrezept dafür, wie man Kids davon abhält, tatsächlich ins rechte Lager abzudriften. Ich denke, das geht nur mit viel Liebe und Achtung und Aufmerksamkeit, denn ich glaube tatsächlich, dass es diese drei Dinge sind, an denen es echten Nazis in ihrer Kindheit gemangelt hat.
(via rené)