Ich muss jetzt mal was loswerden, wohl wissend, dass ich von dem ganzen Thema eigentlich überhaupt keine Ahnung habe, aber jetzt habe ich auch mal eine Meinung und Meinungen scheinen in manchen Kreisen deutlich wichtiger zu sein als Wissen und wozu habe ich überhaupt ein Blog, ne? Also.
Neulich wurde eine Künstlerin von einer kulturellen Veranstaltung ausgeladen. Weil sie Dreadlocks trägt. Und als weiße hetero Frau geht das ja mal gar nicht, denn das sei kulturelle Aneignung und bäh und überhaupt frisst sie sicher auch kleine Kinder. Oder so ähnlich. Der echte Hammer kam direkt hinterher: sie könne gerne kommen, wenn sie sich vorher die Haare abrasiere!
Damals hielt ich die Klappe, konnte mich eines mulmigen Bauchgefühls aber nicht erwehren.
Heute nun lese ich das Buch "Augenblick der Ewigkeit" von Bernhard Sinkel. Es geht darin um den fiktiven Dirigenten Karl Herzog, der im Laufe seines Lebens zu Weltruhm gelangt und auf dem Weg dorthin nicht drumherum kommt, sich den Nazis anzubiedern. Also den echten Nazis™, damals, vorm 2. Weltkrieg. Kurz vor einem entscheidenden Abend, an dem der (jüdische) Generalmusikdirektor von den Nazis aus der Oper vertrieben wird, spielt sich folgende Szene ab:
Er schlug den Mantelkragen hoch und stapfte durch den Neuschnee. Als er am Mendelssohn-Denkmal vorbeikam, blieb er stehen und schaute zu der drei Meter hohen Bronzefigur hoch [...]. Er hatte den einzigen Schüler Mozarts neben Cherubini stets um seine Eleganz und aristokratische Art beneidet und die Harmonie seiner Musik bewundert, die immerzu auch ein Glücksversprechen in sich barg.
Wie hatte der Festredner getönt? Mendelssohn sei ein Scharlatan und Hochstapler, ein Stümper, ein Fremdling und der Beweis dafür, daß das Judentum in der Musik zu einer erschreckenden Geschichte von Plagiat und geistiger Aneignung fremden Gedankenguts geworden sei, bar jeder eigenen Schöpfungskraft. Die wahre Seele seiner Musik sei, wie schon Richard Wagner sagte, nicht die eines anderen Charakters, sondern die einer anderen Rasse und habe nur das eine Ziel, die völkisch-kulturelle Basis mit dem semitischen Bazillus künstlerischer Impotenz zu verseuchen und damit die Lebenskraft des deutschen Volkes zu schwächen.
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